Unter dieser Schlagzeile publizierte die „Süddeutsche“ kürzlich einen Bericht zur Verhandlung des Bundesgerichtshofes gegen eine Mutter und ihren Lebenspartner, die ihren Kilian mit stundenlanger Meditation, strenger Diät und Ananas-Papayasaft, aber ohne wirksame Medikamente gegen seine Krankheit kämpfen liessen, wodurch seine Lunge mehr und mehr verschleimte. Der Junge litt an Mukoviszidose und wäre dringend auf Medikamente angewiesen gewesen.
Ausserdem musste Kilian immer wieder fasten, obwohl bei Mukoviszidose kalorienreiche Ernährung nötig ist. Er wog schließlich nur noch knapp 30 Kilogramm – 20 Kilo weniger als für seine Größe normal.
Nur die Flucht zu seinem leiblichen Vater habe den damals 15-Jährigen vor dem sicheren Tod bewahrt, so der Richter – und die Medikamente, die er dann wieder bekam.
Die Mutter und ihr Lebensgefährte hätten sich der schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen schuldig gemacht, fand das Gericht. Sie müssen wegen Misshandlung ins Gefängnis.
Der Angeklagte ist als „Guru von Lonnerstadt“ bekanntgeworden. Er bezeichnet sich selbst als „Lehrer der zeitlosen Weisheit“. Offenbar waren er und seine Partnerin davon überzeugt, die Krankheit mit ihren Naturheilverfahren heilen zu können – was sich als fataler Irrtum erwies.
Eingesehen haben sie ihren Irrtum und ihre Schuld aber noch nicht.
Und hier kommt die Schlagzeile der „Süddeutschen“ ins Spiel: Können Eltern ihre Kinder durch Naturheilkunde gefährden?
Eine Antwort darauf gibt im Beitrag Edzard Ernst, emeritierter Professor für Alternativmedizin an der Universität im britischen Exeter:
„Viele Alternativbehandlungen sind harmlos. Aber leider sind die Behandler nicht immer harmlos.“
Nämlich dann, wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten, Diagnosen verkennen oder lebensrettende schulmedizinische Behandlungen unterlassen.
Quelle:
http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/naturheilkunde-glauben-mit-nebenwirkungen-1.2594935
Kommentar & Ergänzung:
Der Gerichtsprozess zeigt, wo die Gefahren der Naturheilkunde legen können.
Edzard Ernst bringt es auf den Punkt: Es sind weniger die Behandlungen selbst, die mit Risiken verbunden sind (obwohl auch das möglich ist). Entscheidender ist die Haltung der Behandlerinnen oder Behandler. Und dazu muss ich sagen, dass mir im Verlaufe von rund 30 Jahren, in denen ich mich in den Bereichen Naturheilkunde, Komplementärmedizin und Alternativmedizin bewege, wirklich viele Behandlerinnen und Behandler über den Weg gelaufen sind, bei denen ich grosse Zweifel habe, ob sie ihre Grenzen kennen. Ich vermisse in diesen Bereichen über weite Strecken eine ernsthafte Auseinandersetzung und Diskussion über Grenzen der eigenen Methoden. Ich treffe auf Allmachtsvorstellungen noch und noch und auf narzisstisch verstiegene Guru-Figuren wie diesen unsäglichen selbsternannten „Lehrer der zeitlosen Weisheit“, der in seiner Verblendung das Leben eines Kindes aufs Spiel setzt.
Konsumentinnen und Konsumenten kann man da nur entschieden zu kritischer Wachsamkeit raten. Je grösser die Versprechungen, desto unseriöser in der Regel das Angebot.
Siehe auch:
Naturheilkunde braucht kritische Auseinandersetzung
Naturheilkunde: Sorgfältig prüfen lernen
Komplementärmedizin: Woran erkennen Sie fragwürdige Aussagen?
Heilpflanzenkurse: Die Checkliste – so prüfen Sie Qualität
Komplementärmedizin: Mehr Argumente, weniger fraglose Gläubigkeit
Pflanzenheilkunde: Kritische Reflexion statt Missionarismus
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
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