Mit mir kann man gerne über Homöopathie diskutieren. Allerdings würde ich in solchen Diskussionen ein Mindestmass an Sorgfalt erwarten, was die eingesetzten Argumente angeht. Ein miserables Beispiel liefert ein Artikel, der im Magazin „Focus“ veröffentlicht wurde. Die Argumentation ist schwammig, irreführend und falsch. Zudem zieht die Autorin phytotherapeutiche Studien heran, um die Wirksamkeit von homöopathischen Präparaten zu belegen, ohne diesen Unterschied offen zu legen. So werden LeserInnen getäuscht. Das geht gar nicht.
Nun, sowas könnte man einfach als ärgerlich abbuchen und darüber hinweggehen. Weil an diesem Beispel aber auch einiges zu lernen ist, stelle ich es hier in Ausschnitten dar und kommentiere kursiv.
„Focus“ stellt zwölf Mittel für die homöopathische Hausapotheke vor, versucht aber auch, die Grundsätze der Homöopathie zu erläutern.
Der Arzt und Homöopath Markus Wiesenauer erklärt:
„Mit derzeit gängigen wissenschaftlichen Analyse-Methoden ist nicht zu erklären, wie das Prinzip funktioniert, wir vermuten, dass energetische Prozesse beim Verdünnen und Verschütteln die Ursache sind. Unzählige Behandlungserfolge geben uns schließlich recht.“
Kommentar:
- „Energetisch“ ist hier eine Leerformel, die nichts aussagt. Das Wort „Energie“ stammt ab von griech. energeia und bedeutet „Wirksamkeit, Tätigkeit, allgemein die Tatkraft, die Bereitschaft zum Handeln, die Fähigkeit zum Durchhalten. Wiesenauer vermutet also, dass irgendwelche wirksamen Prozesse beim Verdünnen und Verschütteln die Ursache sind. Diese Aussage enthält keinerlei Angaben über die Art der Prozesse. Sie ist inhaltslos, tönt aber offenbar für manche Menschen eindrücklich.
- Die Aussage „Unzählige Behandlungserfolge geben uns schließlich recht“ läuft auf das Totschlag-Argument „Wer heilt hat recht“ hinaus. „Wer heilt hat recht“ ist nur überzeugend, wenn eindeutig feststeht, dass das angewendete Mittel für die Heilung verantwortlich ist – und nicht zum Beispiel ein natürlicher Verlauf (Selbstheilung). Mehr dazu hier:
Komplementärmedizin: Wer heilt hat Recht?
„Auch wenn viele Studien, zuletzt eine australische Meta-Analyse, zeigen, dass homöopathische Arzneien einen Placebo-Effekt haben……“
Kommentar: Eigenartige Formulierung. Es geht bei Studien nicht darum zu zeigen, dass Arzneien einen Placebo-Effekt haben. Das ist unbestritten. Alle Arzneimittel haben einen Placebo-Effekt, ob synthetische, pflanzliche, homöopathische oder andere. Studien sollen zeigen, ob ein Arzneimittel eine Wirkung hat, die über den Placebo-Effekt hinausgeht. Die australische Meta-Analyse und eine Reihe von anderen Meta-Analysen zeigen jedoch, dass Homöopathika keine Wirksamkeit über den Placebo-Effekt hinaus haben. Eine detaillierte Darstellung der Studienlage ist auf Homöopedia zu finden.
„….gibt es immer wieder auch Beweise für das Gegenteil, etwa eine Langzeit-Untersuchung der Uniklinik Bern zur homöopathischen Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADS) bei Kindern. Hier zeigte sich, dass auch nach 10 Jahren 74 Prozent der Patienten ohne chemische Psychostimulanzien auskommen.“
Kommentar: Die Aussagekraft dieser Studie wird mit starken Argumenten in Frage gestellt, zum Beispiel hier.
„Über 100 placebokontrollierte Studien wurden laut der Carstens Stiftung, die die Erforschung der Naturheilkunde fördert, mit homöopathischen Arzneimitteln gemacht, wovon zwei Drittel den Nutzen der Homöopathie belegten, besonders bei einfacheren Beschwerden.“
Kommentar: Hier wäre die Qualität der Studien entscheidend, um die Chance abzuwägen, ob und wie weit von ihnen unverfälschte Ergebnisse erwartet werden können. RT Mathie, der für das britische Homeopathy Research Institute (HRI) arbeitet, hat die Qualität der vorliegenden Studien für Meta-Analysen bewertet. Von 118 untersuchten Studien waren nur 2 von hoher Qualität. Das sagt eigentlich alles. Details hier.
Das Magazin „Focus“ stellt anschliessend homöopathische Mittel für die Hausapotheke vor. Auch dabei gibt es eine ganze Reihe von Fragwürdigkeiten.
„Arnica D6 bei blauen Flecken
Globuli aus Extrakten der gelben Gebirgsblume gehören laut Wiesenauer zur ersten Besetzung im Medizinschrank. Arnica-Kügelchen seien nicht nur die bekanntesten homöopathischen Arzneien sondern eine beliebte Erste-Hilfe-Medizin bei Sportverletzungen, wenn man umgeknickt ist, sich Prellungen, Quetschungen, Geweberisse zugezogen hat.
Auch bei Blutergüssen oder Schürfwunden sollen sie Beschwerden (und den Verletzungsschock) lindern. Studien der Northwestern University in Chicago haben gezeigt, dass Hämatome dank Arnica deutlich schneller heilen, weil es hilft, die Durchlässigkeit der Blutgefäße zu stoppen und die Bildung von entzündungsfördernden Stoffen unterdrückt.“
Kommentar: Zu Arnika gibt es tatsächlich eine Studie der Northwestern University in Chicago. Dabei wurde aber Arnika äusserlich in einer phytotherapeutischen Zubereitung untersucht. Sie als Beleg für eine homöopathische Anwendung von Arnica-Globuli anzuführen, ist unsinnig und irreführend.
Quelle: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20412090
Zu homöopathischen Arnica-Zubereitungen gibt es allerdings eine ganze Reihe von Studien. Warum wird nicht auf diese Studien verwiesen? Durch Auswertung von 49 Studien mit Arnika-Globuli konnte keine Wirksamkeit über Placebo hinaus belegt werden.
Siehe dazu:
Homöopathie: Arnika-Globuli bei stumpfen Verletzungen von Weichteilen wirksam?
Weshalb präsentiert „Focus“ als Beleg eine Studie zu einer phytotherapeutische Arnika-Zubereitung, erwähnt aber die 49 vorliegenden Studien zu Arnika-Globuli mit keinem Wort, die insgesamt negativ ausgefallen sind?
„Echinacea D6 für das Immunsystem
Schon die Ureinwohner Nordamerika haben die getrockneten Wurzeln des Roten Sonnenhuts, botanisch Echinacea, zerrieben und als Teeaufguss bei Husten genutzt. In der Hahnemann-Heilkunde wird Echinacea als Immunstimulans verwendet, das aufbauend wirken soll, wenn Infekte kaum noch ausheilen oder häufig wieder aufflammen.
Vor allem Erkrankungen der Atemwege wie Halsschmerzen sollen sich damit gut in den Griff bekommen lassen. Untersuchungen der kalifornischen University of Stockton haben gezeigt, dass Echinacea das Immunsystem wieder hochfahren und die Erkrankungsdauer um ein bis zwei Tage verkürzen kann.“
Kommentar: Ein Institut aus Stockton hat eine nicht sehr aussagekräftige Echinacea-Monografie erstellt. Es sind keinerlei Hinweise darauf ersichtlich, dass es sich um homöopathische Zubereitungen handelt. Gleicher Trick wie bei den Arnika-Globuli? Warum liefert „“Focus“ derart windige „Belege“ für die homöopathische Anwendung von Echinacea?
Eine vorbeugende Anwendung zur Steigerung des Immunsystems widerspricht zudem klar der homöopathischen Methode, die sich als Arzneimittellehre versteht, die (nur) im Falle einer bestehenden Erkrankung interveniert; die Gabe eines Mittels an einen Gesunden würde nach der homöopathischen Lehre Krankheitssymptome auslösen. Darum ist die Verwendung von Homöopathika zur Vorbeugung, „Hilfe“ und „Unterstützung“ selbst nach ihren eigenen Grundannahmen ungeeignet. (Quelle hier und hier)
„Belladonna D12 bei Infekten und Fieber
Akute Entzündungen sind – vor allem im Anfangsstadium – ein Fall für Belladonna. Aus der eigentlich giftigen Tollkirsche gewonnen, kann sie als homöopathisch verdünnte Arznei bei allen plötzlich und heftig auftretenden Infekten wie Mittelohr- oder Mandelentzündung, Bronchitis und Erkältungen helfen. Typische Symptome wie pochende Schmerzen, Fieber und geschwollene Lymphknoten soll Belladonna lindern. Zum Einsatz kommen kann es auch bei Sonnenbrand (wegen der Hautschwellung) und einer Bindehautentzündung. Wichtig ist aber: Tritt nach spätestens fünf Stunden keine Besserung ein, sollte ein Arzt sich um die Beschwerden kümmern.“
Kommentar: Im „Focus“-Artikel wird ein zentraler Grundsatz der Homöopathie erklärt:
„Hahnemann ging davon aus, das alles, was einen Gesunden krank macht, umgekehrt einen Kranken gesund machen kann. Deshalb werden Beschwerden immer mit dem Mittel behandelt, das ähnliche Probleme auslösen kann.“
Deshalb prüft die Homöopathie ihre Globuli am Gesunden.
Mit Belladonna-Globuli wurde eine homöopathische Arzneimittelprüfung am Gesunden durchgeführt mit einer Kontrollgruppe, die unbehandelte Globuli bekam. Zwischen den zwei Gruppen zeigten sich keine Unterschiede. Nimmt man das Ergebnis dieser sehr sorgfältigen Untersuchung ernst, gibt es kein Arzneimittelbild für Belladonna und damit auch keinen homöopathisch begründbaren Anwendungsbereich.
Siehe dazu:
Arzneimittelprüfung Belladonna C30 / Belladonna D60
Und weitere Informationen zur homöopathsichen Arzneimittelprüfung hier:
Homöopathie-Forschung: Arzneimittelprüfung mit Okoubaka
Quelle:
https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/naturheilkunde/einstieg-in-die-homoeopathie-arzt-empfiehlt-zwoelf-mittel-gehoeren-in-jede-hausapotheke_id_7694011.html
Abschliessender Kommentar & Ergänzung:
Dieser Focus-Artikel ist meiner Ansicht nach vollkommen unseriös. Dass die Wirksamkeit der Globuli mit der Erwähnung von Studien nahegelegt wird, die in Tat und Wahrheit phytotherapeutische Studien sind, und die Leserinnen und Leser darüber im Unklaren gelassen werden, halte ich für hochgradig irreführend.
Da solche populären Artikel selten einer fachlichen Kritik unterzogen werden, sind derartige Praktiken leider nicht selten.
Es braucht in Alternativmedizin und Komplementärmedizin – aber auch in den Bereichen Pflanzenheilkunde / Phytotherapie – viel mehr kritische Auseinandersetzung, damit irreführende Versprechungen nicht einfach widerspruchslos durchgehen.
Siehe dazu auch:
Naturheilkunde selber denken statt blind glauben
Komplementärmedizin – alles Ansichtssache?
Naturheilkunde braucht kritische Auseinandersetzung
Komplementärmedizin – mehr Argumente, weniger fraglose Gläubigkeit
Mehr Kontroverse in Komplementärmedizin, Naturheilkunde, Pflanzenheilkunde