Im Bereich der Naturheilkunde schwirren unzählige Aussagen, Behauptungen und Versprechungen herum, die ungeprüft abgeschrieben und weiter erzählt werden. Ein Beispiel dafür ist die Empfehlung, Himbeerblättertee erleichtere die Geburt. Kaum ein Naturheilkunde-Führer für Frauen, der diesen Tipp nicht kolportiert. Auch viele Hebammen geben diesen Rat – ohne genauer nachzufragen – als gesicherte Erkenntnis weiter.
Der Empfehlung von Himbeerblättertee zur Geburtserleichterung fehlt jede Basis
Dabei gibt es beim Thema Himbeerblätter zur Geburtserleichterung fast nur offene Fragen. Unklar ist nur schon die Quelle dieser Information. Wer hat sie in die Welt gesetzt, mit welcher Begründung, aufgrund welcher Beobachtungen oder Überlegungen? Antworten auf solche Fragen wären zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieser Versprechung zentral.
Fragt man genauer nach, wie denn diese Geburtserleichterung durch Himbeerblättertee zustande kommen soll, dann bekommt man unterschiedliche Antworten: Himbeerblätter sollen das Bindegewebe weich machen. Auf welchem Weg das geschehen soll, bleibt schleierhaft. Und schwer vorstellbar ist zudem, dass Himbeerblätter selektiv nur Bindegewebe in Bereich der Gebärmutter erweichen sollen. Würde Bindegewebe aber generell erweicht, müsste auch verstärkt mit der Entwicklung von Cellulite oder Krampfadern gerechnet werden.
Manchmal hört man auch, die Bänder im Bereich der Gebärmutter würden durch Himbeerblätter gelockert. Wieder selektiv nur diese Bänder? – Oder besteht das Risiko, dass auch Gelenke “schlotterig” werden? – Damit klar ist: Ich sehe bei der Anwendung von Himbeerblättertee kein erkennbares Risiko. Wer aber von solchen “Lockerungen” zur Geburtserleichterung überzeugt ist und sie propagiert, müsste sich mit solchen Fragen ernsthaft auseinandersetzten.
Schaden wird der Himberblättertee kaum. Für eine Wirksamkeit zur Geburtserleichterung gibt es allerdings in der gesamten Phytotherapie-Fachliteratur keinerlei Hinweise. Und es sind auch keine Wirkstoffe in Himbeerblättern bekannt, die einen solchen Effekt auslösen könnten. Es ist überhaupt schwer vorstellbar, was das für ein Wirkstoff denn sein könnte. Ebenso wenig findet sich diese Empfehlung in den Angaben der traditionellen Pflanzenheilkunde. Die Himbeerblätter werden weniger zu den Heilpflanzen gezählt und eher als Genusstee betrachtet.
Auch aus der “Erfahrung” lässt sich eine günstige Wirkung auf den Geburtsvorgang nicht ableiten, weil bei jeder individuellen Anwendung von Himbeerblättertee nie geklärt werden kann, wie denn die Geburt ohne diese Teekur verlaufen wäre.
Nun kann man natürlich sagen: Falls der Himbeerblättertee nichts nützt, dann schadet er jedenfalls nichts – und so kann man denn als Hebamme, KursleiterIn oder AutorIn den Tee empfehlen – und ausserdem wird er der Schwangeren Zuversicht geben, dass es schon gut kommt mit der Geburt, was auch nicht gering zu schätzen ist.
Andererseits finde ich aber, dass es gerade für Fachleute auch eine Frage der Glaubwürdigkeit ist, ob sie eine Empfehlung kritisch prüfen, bevor sie diese weitergeben. Blindes Nachplappern jedenfalls macht nicht gerade einen kompetenten Eindruck.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Pflanzenheilkunde
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch