Ich bewege mich nun seit mehr als 40 Jahren als Ausbildner im Bereich der Naturheilkunde. Dabei fällt mir immer stärker auf, dass es in diesem «Biotop» über weite Strecken an kritischem Nachfragen mangelt. Wenn man erzählt, was viele Leute hören wollen, dann ist der Erfolg eigentlich garantiert. Sehr gefragt sind Wundermittel für alle Lebenslagen.
Mich erschüttert zunehmend, wie unhinterfragt auch vollkommen abstruse Versprechungen von vielen Menschen geglaubt werden.
Es reicht nicht, wenn in Ausbildungen, Kursen, Zeitschriften und Videos fast nur von den wunderbaren Wirkungen der Heilpflanzen berichtet wird. Das ist zu einseitig. Es ist wichtig, auch Lücken, Widersprüche, offene Fragen, Grenzen und Risiken anzusprechen. Das ist im Übrigen auch interessanter und anregender.
Es gilt dabei zu lernen, wie man glaubwürdige von unglaubwürdigen Aussagen unterscheiden kann.
Ein wichtiges Ziel ist es dabei, Aussagen sorgfältig zu prüfen und zu beurteilen, anstatt sie einfach fraglos und blindlings zu übernehmen.
Kritische Auseinandersetzung mit Widersprüchen, Lücken und Grenzen ist eine wichtige Voraussetzung für die Weiterentwicklung eines Faches, aber auch für die eigene Persönlichkeit. Wer kritische Auseinandersetzung gelernt hat ist zudem weniger anfällig für leere Werbeversprechungen.
Ich habe dazu schon vor bald 10 Jahren mal etwas geschrieben, aber meinem Eindruck nach hat sich die «fraglose Gläubigkeit» seither noch weiterverbreitet. Menschen, die nicht prüfen können, was man ihnen an Meinung oder Wissen vorsetzt, sind nicht souverän, sie treiben vielmehr ohne eigenen Stand im Strom.
Das Wort „kritisch“ stammt von einem griechischen Begriff ab, den man mit „Unterscheidungsvermögen“ oder “Beurteilungskunst“ übersetzen könnte. Ein kritischer Ansatz in der Kräuterkunde lehrt also Unterscheidungsvermögen.
Mein Wunsch für die Naturheilkunde deshalb: Lehren und lernen wir zusammen kritisches Unterscheidungsvermögen.
Mein Text dazu von 2013:
Kräuterkunde braucht einen kritischen Ansatz