Die österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger (geboren 1921) schrieb:
“Wenn es doch endlich einmal gelänge, in unserer Sprache ein Wort einzuführen, welches Denken und Fühlen nicht trennt. Ich habe es satt, mich immer für das eine und damit gegen das andere entscheiden zu müssen. Und wieviel Unglück ist erst dadurch entstanden, dass die Menschen auch danach gehandelt haben.”
Die Hoffnung auf ein solches Wort ist wohl umsonst. Dafür sind Denken und Fühlen zu unterschiedlich. Vermutlich wäre jedoch bereits viel gewonnen, wenn beide – Denken und Fühlen – ausdrücklich ihren Platz zugesichert bekommen würden. Das ist nicht selbstverständlich. Beide muss man nämlich quasi in Schutz nehmen. Das Fühlen kommt häufig unter die Räder durch eine Haltung, welche Rationalität als einzigen Massstab sieht. Wissenschaft versucht, Gefühle aus ihren Untersuchungen auszuschalten. Das ist eine ihrer Stärken, weil dadurch Resultate unabhängiger von den untersuchenden Personen werden. Problematisch wird es erst, wenn diese Haltung soweit überzogen wird, dass den Gefühlen generell ihre Daseinsberechtigung abgesprochen wird. Dann verarmt die Welt und wird kälter.
Bedrohtes Denken in Naturheilkunde / Komplementärmedizin
Doch auch das Denken ist bedroht. Mich erschüttert zum Beispiel immer wieder, wie weit verbreitet blinde Gläubigkeit und Dogmatismus im Bereich von Komplementärmedizin & Naturheilkunde sind. Von sehr vielen Leuten wird jede auch noch so abstruse, absolute Behauptung geglaubt. Es fehlt an allen Ecken und Enden an einer Kultur des kritischen Nachfragens – wie genau? Was genau? Wer genau? Warum genau? – und zwar bei Patientinnen und Patienten, bei Behandelnden und bei Lehrpersonen. Dadurch wird das Terrain von Komplementärmedizin & Naturheilkunde anfällig für “Guru-Systeme” und Geschäftemacherei. Hier wäre genaueres Denken ausgesprochen notwendig. Darum ist es mir ein zentrales Anliegen, in allen meinen Kursen, Lehrgängen, Weiterbildungen und Ausbildungen auch zu vermitteln, wie Behauptungen und Versprechungen kritisch geprüft werden können. Nur wer dazu in der Lage ist, kann sich eine eigenständige Meinung bilden und wird dadurch unabhängiger von fragwürdigen Heilslehren.
Eindrücklich ist allerdings: Wer Behauptungen und Versprechungen im Bereich von Naturheilkunde / Komplementärmedizin kritisch prüft, wird von eng alternativmedizinisch denkenden Menschen häufig reflexartig in eine “schulmedizinische” Ecke gestellt. So kann man es sich sehr einfach machen und muss sich nicht mit kritischen Fragen auseinandersetzen……
Wenn Patientinnen und Patienten, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Lehrpersonen in dieser “Faulheit des kritiklosen Für-wahr-Haltens” (Ludwig Marcuse) verharren, gefährdet das nicht nur die Gesundheit von Patientinnen und Patienten. Es schadet auch der Komplementärmedizin bzw. Naturheilkunde. Darum bin ich überzeugt, dass es auch in der Pflanzenheilkunde eine Kultur des sorgfältigen In-Frage-Stellens braucht.Nur durch Nachhaken, Prüfen und In-Frage-Stellen bleibt ein Wissensbereich lebendig und kann sich weiter entwickeln. So klären sich Vorstellungen.
Fraglosigkeit und blindes Schlucken von Behauptungen und Versprechungen führen dagegen in die Sackgasse.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch