Sie interessieren sich für eine Naturheilkunde-Ausbildung?
Sie suchen eine für Sie geeignete Naturheilkunde-Ausbildung und merken, wie schwierig eine solche Wahl ist?
Dann helfen Ihnen die folgenden Anregungen und Kriterien vielleicht, sich in diesem Terrain etwas besser zu orientieren.
1. Naturheilkunde – ein unscharfer Begriff
Naturheilkunde ist ein Begriff, der sehr unterschiedlich verwendet wird. Sie können daher unter dieser Bezeichnung sehr verschiedene Methoden versammelt finden. Das gilt auch für den Inhalt von Naturheilkunde-Ausbildungen. Vergleichen Sie daher genau und prüfen Sie, ob die angebotenen Methoden Ihnen entsprechen. Eine Definition des Begriffs Naturheilkunde finden Sie hier:
2. Fehlende Qualitätskontrolle bei Naturheilkunde-Ausbildungen
Es ist m. E. nützlich zu wissen, dass eine auch nur einigermassen fundierte Qualitätskontrolle im Bereich der Naturheilkunde-Ausbildung nicht oder dann nur dem Schein nach besteht. Es gibt zwar Richtlinien darüber – zum Beispiel vom sogenannten EMR – wie viele Ausbildungsstunden in den einzelnen Methoden nötig sind, damit ein Naturheilpraktiker oder eine Naturheilpraktikerin mit Krankenkassen via Zusatzversicherung abrechnen kann.
Das ist eine quantitative Kontrolle. Wie fundiert die Inhalte sind, welche in diesen Stunden vermittelt werden, bleibt völlig im Ermessen der Schulen und der Dozierenden. Das Fehlen einer unabhängigen inhaltlichen Qualitätskontrolle in Naturheilkunde-Ausbildungen ist für die Weiterentwicklung dieses Bereiches eigentlich ein Desaster.
Dem liegt allerdings ein grundsätzliches Problem zugrunde:
Viele Bereiche von Naturheilkunde bzw. Komplementärmedizin entziehen sich schon von den Methoden und Theorien her einer auch nur einigermassen objektiven, unabhängigen Überprüfung. Und wo sie in Teilbereichen wissenschaftlich überprüfbar wären, wird diese Form von Qualitätskontrolle oft abgelehnt.
Dann stellt sich aber die Frage, nach welchen unabhängigen Kriterien eine Qualitätssicherung überhaupt stattfinden könnte. In den medizinischen Grundlagenfächern, die auch Bestandteil der Naturheilkunde-Ausbildungen sind, ist das einfacher, weil es in der Medizin neben strittigen Punkten auch einen grossen Stock an anerkannten Standards gibt.
Auch für die Phytotherapie, sofern und soweit sie sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse bezieht, gibt es solche anerkannten Standards (z. B. die ESCOP-Monografien), die eine qualitative Überprüfung von vermitteltem Wissen möglich machen.
Zwar gibt es keine Garantie, dass solche Standards korrekt sind. Es kommt sogar immer wieder einmal vor, dass sie sich als falsch erweisen.
Aber es sind immerhin Standards, die auf einem breiten Konsens von Fachleuten basieren und mit Hilfe von überprüfbaren, reproduzierbaren Kriterien zustande gekommen sind. Das ist ein gewisser Schutz dagegen, dass irgendein “Furz” einer Einzelperson oder einer Clique plötzlich zum Dogma erhoben wird, wie es im Bereich Naturheilkunde bzw. Komplementärmedizin leider nicht gerade selten vorkommt.
Wer auf der Suche nach einer passenden Naturheilkunde-Ausbildung ist, steht also vor der ziemlich grossen Herausforderung, sich selber ein Urteil zu bilden über die inhaltliche Qualität des Angebotes.
3. Prüfsteine für Naturheilkunde-Ausbildungen
Wie also bildet man sich ein sorgfältiges Urteil über die Qualität einer Naturheilkunde-Ausbildung, wenn unabhängige, reproduzierbare Kriterien zur Einschätzung des fachlichen Inhalts kaum vorhanden sind?
Meiner Erfahrung nach ist es an diesem Punkt vor allem wichtig, verstärkt die Grundhaltung einer Schule und ihrer Lehrkräfte unter die Lupe zu nehmen.
Wie gehen diese Personen um mit dem Wissen, das sie vermitteln und wie bewegen sie sich im Terrain zwischen Krankheit, Gesundheit und Heilen?
Folgende Prüfsteine können als Anregung für diesen Prüf- und Entscheidungsvorgang dienen:
3.1. Schwarz-Weiss-Denken meiden
Es gibt im Bereich Naturheilkunde / Komplementärmedizin nicht wenige Ausbildungsstätten oder Einzelpersonen, die Sie mit ihren eigenen Feindbildern gegen die “Schulmedizin” abfüllen wollen. Erkennbar ist dies am ausgeprägten Schwarz-Weiss-Denken: Hier die gute, lebens- und menschenfreundliche Naturheilkunde, dort die schädliche, menschenverachtende Medizin. Notwendig wäre dagegen eine kritisch-differenzierte Auseinandersetzung mit Medizin und Naturheilkunde. Wer nur kritisch gegenüber der sogenannten “Schulmedizin” auftritt, in der Naturheilkunde aber blauäugig alles wunderbar findet, ist nicht wirklich kritisch, sondern nur verhaftet in den eigenen Feindbildern. Weil solch einseitige Haltungen aber letztlich den Patientinnen und Patienten schaden, empfiehlt es sich, um solche Schulen einen weiten Bogen zu machen.
3. 2. Werden Misserfolge, unerwünschte Nebenwirkungen und Grenzen thematisiert?
Wer nur von Heilerfolgen redet oder schreibt, nie jedoch von Misserfolgen und Grenzen der eigenen Methoden, der blendet einen wichtigen Bereich der Realität aus. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass es jemals eine Heilmethode gab oder geben wird, die weder Misserfolge noch Grenzen kennt.
Fragwürdig ist auch, wenn zum Beispiel in einem Heilpflanzenbuch nur von wunderbaren Heilwirkungen, nie aber von unerwünschten Nebenwirkungen die Rede ist. Es spricht viel dafür, dass, was therapeutische Wirkung entfaltet, auch unerwünschte Nebenwirkungen zeigen kann. Das gilt auch für Behandlungen im Bereich Naturheilkunde / Komplementärmedizin.
Wer sich nicht mit Misserfolgen oder Grenzen der eigenen Methoden auseinandersetzt, lernt kaum etwas und entwickelt sich und seine therapeutischen Werkzeuge nicht weiter. Ich würde empfehlen, solche Ausbildungsinstitute oder solche Dozentinnen und Dozenten zu meiden.
3.3. Naturheilkunde-Ausbildungen sollen nicht zu Überidentifikation führen
Wer die unbegrenzten Möglichkeiten der Naturheilkunde in den schönsten Farben ausmalt, ohne auf die Grenzen hinzuweisen, idealisiert sie. Das passiert vor allem Menschen, die sich sehr stark mit der Naturheilkunde identifizieren. Und wer sich zu stark identifiziert, verliert jede Distanz, die nötig wäre, um zwischendurch auch mal einen kritischen Gedanken zum eigenen Gebiet zu fassen. Darum wäre ich sehr skeptisch, wenn Dozierende in Naturheilkunde-Ausbildungen sich zu 150% mit ihren Methoden identifizieren. Wer seine Identität so vollständig auf der eigenen Rolle als Naturheiler aufbaut, wird sich bei jeder kritischen Bemerkung persönlich angegriffen fühlen. So wird ein differenzierter Umgang mit den Möglichkeiten und Grenzen der Naturheilkunde fast unmöglich. Dozentinnen und Dozenten in Naturheilkunde-Ausbildungen dürfen und sollen durchaus von ihrem Gebiet überzeugt sein, aber zwischendurch auch genug Distanz haben, um Grenzen, offene Fragen und heikle Punkte in ihrem Fachbereich zu erkennen.
3.4. Widersprüche und offene Fragen gehören zu einer sorgfältigen Naturheilkunde-Ausbildung.
Es gibt wohl keinen Wissensbereich in der ganzen Welt, der vollständig geklärt ist. Auch in der Naturheilkunde gibt es zahlreiche offene Fragen und Widersprüche. Mir fällt schon seit langer Zeit auf, dass es viele Naturheilkunde-Ausbildungen gibt, die scheinbar fragloses, absolut sicheres Wissen vermitteln. “So ist es!”, lautet offenbar deren Grundprinzip. Das hat zur Folge, dass Studierende nach der Ausbildung wie Missionare auftreten und dieses “Wissen” genauso unreflektiert predigen, wie sie es vermittelt bekommen haben. Auch dieser Missionarismus schadet meiner Meinung nach den Patientinnen und Patienten und er behindert zudem eine produktive Weiterentwicklung der Naturheilkunde.
3.5. Optative statt normative Grundhaltungen
Es geistern im Bereich von Naturheilkunde bzw. Komplementärmedizin viele normative Grundhaltungen herum, das heisst mit anderen Worten fixe Anweisungen, was zu tun und was zu lassen ist. Ich würde eine Naturheilkunde-Ausbildung vorziehen, die eine optative Haltung einnimmt, also Optionen, Wahlmöglichkeiten für die Patientinnen und Patienten aufzeigt. Zu den Optionen gehört jeweils auch der Hinweis auf “schulmedizinische” Möglichkeiten, ohne dass diese Option routinemässig schlecht gemacht oder gar dämonisiert wird (was in der Naturheilkunde leider oft vorkommt). Diese grundsätzliche Offenheit auch für “schulmedizinische” Optionen ist allerdings nicht mit Kritiklosigkeit zu verwechseln.
3.6. Achten Sie auf diffuse, aber wohlklingende Begriffe
In der Naturheilkunde trifft man oft Leute, die mit zwar wohlklingenden, aber bei genauerer Betrachtung ziemlich vagen bis nebulösen Begriffen operieren.
Manche Ausschreibungen oder Inserate für Naturheilkunde-Ausbildungen sind gespickt mit Worten wie Ganzheitlich, Schwingungen, Energie, Wesen der Pflanzen, etc.
Das Problem mit solchen Worthülsen ist, dass sie bei manchen Personen diffuse Bedürfnisse ansprechen und darum sehr verkaufsfördernd sind. Gleichzeitig sind sie aber so nichtssagend oder vage, dass jeder und jede sich darunter etwas ganz anderes vorstellt. Dann kann man sich über lange Zeit bestens darüber unterhalten und gleichzeitig vollkommen aneinander vorbeireden, weil jeder in seinen eigenen Vorstellungen gefangen ist.
So wird beispielsweise in der Pflanzenheilkunde manchmal vom “Wesen der Pflanzen” gesprochen, das erkannt werden müsse, wenn Heilpflanzen erfolgreich angewendet werden sollen. Der bedeutungsschwer tönende Begriff vom “Wesen der Pflanzen” bleibt aber ungeklärt. So kann jeder Mensch seine eigenen Vorstellungen damit verbinden. Werden diese nie thematisiert, reden die beteiligten Personen aneinander vorbei, während sie zugleich vielleicht sogar glauben, sie würden sich gut verstehen. Unter dem Etikett des “Wesens” der Pflanzen werden dann eigene Deutungen als allgemein gültig verkauft. Anstelle eines sorgfältigen “so sehe ich diese Pflanze” gilt dann ein dogmatisierendes “so ist diese Pflanze”.
Achten Sie auf solch diffuse Begriffe in den Prospekten von Naturheilkunde-Ausbildungen, aber auch in Gesprächen mit Schulleitungen und Dozierenden. Falls solche Luftblasen vermehrt auftauchen lohnt es sich genau nachzufragen, was damit gemeint ist. Die Art der Antwort auf solche Nachfragen ist häufig aufschlussreich. Oft bekommen Sie dazu nur wirre Auskünfte, weil die entsprechenden Personen sich selber die Bedeutungen der von ihnen verwendeten Begriffe gar nie klar gemacht haben. Oder die Nachfrage wird gar als Zumutung empfunden. Eine solche Naturheilkunde-Ausbildung würde ich dann ebenfalls meiden….
3.7. Begründungen – nicht nur Behauptungen
Ich würde einen grossen Bogen machen um Naturheilkunde-Ausbildungen, die nur Behauptungen in den Raum stellen ohne sie so gut wie möglich zu begründen.
Wer nur mit Behauptungen abgefüllt wird, kann nur blind glauben oder ebenso blind ablehnen. Und wer bereits Geld für die Ausbildung bezahlt hat wird geneigt sein zu glauben, was ihm da als Gegenleistung angeboten wird. Wer das Angebot blind zurückweist, steht schlussendlich mit leeren Taschen da.
Nur die Alternative zwischen blind glauben und blind ablehnen zu haben ist aber irgendwie unwürdig für mündige Menschen.
Nur wenn auch Begründungen geliefert werden dazu, wie jemand zu einer Aussage kommt, können Sie sich eine eigene Meinung bilden. Aufgrund welcher Beobachtungen, Erfahrungen oder Überlegungen kommt jemand zum Beispiel zur Aussage, dass Heilpflanze XY gegen Krankheit Z. wirkt? Auf welche Quellen beruft er oder sie sich?
Skepsis ist angebracht, wenn Begründungen durch Schlagworte ersetzt werden. Ein oft gehörtes Beispiel dafür ist der Spruch: “Wer heilt hat recht!” – Er fegt scheinbar die Notwendigkeit von plausiblen Begründungen vom Tisch. Ausgeklammert bleibt dabei, ob die Heilung spezifisch mit der Therapie zusammenhängt, oder ob sie auf die Selbstheilungskräfte des Organismus zurück zu führen ist, oder auf den Placebo-Effekt, der bei jeder Behandlung mitbeteiligt ist.
Diese sieben Prüfsteine sind natürlich nicht abschliessend gemeint und sie geben auch keine Sicherheit für die Wahl einer optimalen Naturheilkunde-Ausbildung. Ich bin aber überzeugt davon, dass die Prüfung solcher Grundhaltungen dabei ein zentraler Punkt ist. Und zwar für die Sicherheit zukünftiger Patientinnen und Patienten, aber auf einer grundsätzlicheren Ebene auch für eine positive Entwicklung der Naturheilkunde.
Ich würde jedenfalls, wenn ich eine Naturheilkunde-Ausbildung wählen müsste, sorgfältig das Schulprogramm und die Prospekte studieren, mit der Schulleitung reden, einen Probe-Unterrichtstag absolvieren, und dabei diese sieben Prüfsteine gut im Auge behalten.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch