Homöopathisch aufbereitetes Atropinsulfat zeigt keine nachweisbaren Wirkungen auf die Kontraktionsfähigkeit des Rattendarms. Dies ist das Resultat einer Studie, welche mit Förder-
mitteln der Karl und Veronica Carstens-Stiftung am Institut für Veterinär-Physiologie der FU Berlin durchgeführt wurde.
Professor Holger Martens und Dr. Christiane Siegling-Vlitakis konnten damit die aufsehenerregenden Resultate einer Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2004 nicht bestätigen. Seinerzeit wurde beobachtet, dass
selbst homöopathische Hochpotenzen noch Effekte am isolierten Rattendarm auslösen.
In ihren Experimenten verwendeten die Berliner Wissenschaftler ein in der Tierphysiologie bekanntes Standardmodell, in dem verschiedene Segmente des Ileums (Dünndarm) von Ratten in eine Messvorrichtung gespannt und mit Acetylcholin angeregt werden. Dadurch kommt es zu einer Kontraktion des
Darmes.
Die Hypothese der Wissenschaftler:
die Stärke der ausgelösten Kontraktion verändert sich, wenn in die umgebende Nährlösung homöopathisch aufbereitetes Atropinsulfat gegeben wird. Atropinsulfat wird aus der Pflanze Atropa belladonna (Tollkirsche) gewonnen; Belladonna ist ein in der Homöopathie weit verbreitetes Arzneimittel. Eine signifikante Veränderung der Reaktion des Rattendarms konnten die Forscher im Vergleich zu den Kontrollen nicht feststellen.
Publiziert wurden die Resultate nun in der Oktober-Ausgabe (Jg. 15 (10), 2009) der Zeitschrift
Journal of Alternative and Complementary Medicine.
Quelle: www.carstens-stiftung.de
Zur Originalpublikation:
http://www.liebertonline.com/doi/abs/10.1089/acm.2008.0614
Kommentar & Ergänzung: Laborstudie mit negativem Ergebnis für Homöpathie
Die “Karl und Veronica Carstens-Stiftung” steht der Naturheilkunde und der Homöopathie nahe und fördert die Forschung sowie den wissenschaftlichen und ärztlichen Nachwuchs in diesen Bereichen. Das langfristige Ziel der Carstens-Stiftung ist die Integration der Komplementärmedizin in Forschung und Lehre der Hochschulmedizin. Es ist sehr wertvoll, dass die Carstens-Stiftung die Forschungsarbeit von Martens & Siegling unterstützt hat, weil damit eine problematische Geschichte geklärt werden konnte: Die angebliche Bestätigung der Wirksamkeit homöopathischer Belladonna-Verdünnungen durch eine Leipziger Forschergruppe im Jahr 2003.
Um die Bedeutung der jetzt abgeschlossenen Studie aus Berlin zu verstehen, muss man allerdings die Vorgeschichte kennen:
Im Jahre 2003 erregte eine Forschergruppe der Universität Leipzig (die Apothekerin Franziska Schmidt sowie die Pharmakologen Prof. Dr. Karen Nieber und Prof. Dr. Wolfgang Süß) mit dem vermeintlichen Nachweis der Wirksamkeit homöopathischer Belladonna-Verdünnungen Aufsehen. Ihnen war es angeblich gelungen, die muskelentspannende Wirkung homöopathischer Belladonna-Dosen (D32, D60 und D100) an Muskelpräparaten aus Magen und Dünndarm von Ratten in Laborexperimenten nachzuweisen.
Noch vor der Veröffentlichung ihrer Resultate in der Zeitschrift ”Biologische Medizin” bekamen sie 2003 für Ihre Arbeit den mit 10.000 Euro dotierten, von der Internationalen Gesellschaft für Homotoxikologie e.V. und der Internationalen Gesellschaft für Biologische Medizin e.V. verliehenen Hans-Heinrich-Reckeweg-Preis; mit diesem Preis werden herausragende Forschungsresultate im Bereich der Homöopathie ausgezeichnet. Die Ergebnisse der Leipziger Experimente wurden daraufhin von Homöopathen weltweit als wichtiger Beweis für die Richtigkeit der Homöopathie gefeiert.
Nach Publikation der Studie wurde allerdings Kritik laut.
Der Konstanzer Chemiker Dr. Klaus Keck, der Mathematiker Professor Gerhard Bruhn (Darmstadt) und der Geophysiker Professor Erhard Wielandt (Stuttgart) erstellten eine ausführliche Analyse der Leipziger Experimente und publizierten diese auf einer eigenen Webseite.
Die Autoren warfen den Leipziger Wissenschaftlern vor, dass ihre Resultate nicht auf objektiven Messungen, sondern auf ”vorurteils- und methodisch bedingten Messfehlern” beruhten. Dabei war hauptsächlich von Interesse, ob mit den von den Leipziger Wissenschaftlern angewandten Methoden ein Wirkungsnachweis mit naturwissenschaftlich fundierter Begründung möglich ist. Eine kompakte Version dieser Analyse wurde im Heft 3/2005 der Zeitschrift Skeptiker publiziert.
Am 3.11. 2005 berichtete die Deutsche Apothekerzeitung, dass die Leipziger Pharmakologen die Studie zurückgezogen und den Reckeweg-Preis zurückgegeben haben. Offenbar sind bei den Experimenten in Leipzig gravierende Fehler gemacht worden. Diese Feststellung wird nun auch durch die Studie von Martens & Siegling bekräftigt.
Damit hat sich wieder eine vermeintliche Bestätigung der Wirksamkeit homöopathischer Hochpotenzen zerschlagen.
Wer daraus nun folgert, dass Homöopathie als Behandlung in jedem Fall wirkungslos ist, macht es sich allerdings meines Erachtens zu einfach.
Es gibt immer wieder Menschen, die bei gewissen Krankheiten durch eine homöopathische Behandlung Linderung verspüren.
Sehr offen ist aber immer noch die Frage, ob solche Linderungen mit dem homöopathischen Heilmittel zusammenhängen. Studien mit Patienten jedenfalls sprechen in ihrer grossen Mehrzahl gegen einen Effekt der homöopathischen Arznei, welcher über einen Placebo-Effekt hinausgeht – auch wenn die Studie den Regeln der Homöopathie genügt.
Homöopathie-Forschung
Fasst man die verschiedenen Bereiche der Homöopathie-Forschung zusammen, spricht meiner Ansicht nach viel dafür, dass es eher der therapeutische Kontext ist, welcher für solche Heilerfolge der Homöopathie verantwortlich ist.
Zudem sind die theoretischen Erklärungen zur Wirkungsweise der Homöopathie meiner Ansicht nach alles andere als plausibel.
Damit lassen sich aber natürlich positive Erfahrungen mit der Homöopathie nicht von Tisch wischen. Es stellt sich nur die Frage, ob diese positiven Erfahrungen konkret mit den eingenommenen Globuli zusammenhängen, oder ob der therapeutische Kontext und / oder die Selbstheilungskräfte des Organismus dafür verantwortlich sind.
Am problematischsten scheint mir allerdings, dass ein nicht geringer Teil der Homöopathinnen und Homöopathen den Zuständigkeitsbereich der Homöopathie sehr umfassend und praktisch grenzenlos sieht. Die Homöopathie hat aber ganz deutlich ihre Grenzen und wo dies übersehen wird, avanciert sie zu einer Art Heilslehre – mit unübersehbarem Risikopotential für Patientinnen und Patienten.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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