Verlagsbeschreibung
Der allgemeinverständlich geschriebene Band bietet einen systematischen Überblick über das Mensch-Tier-Verhältnis in Europa von der Urgeschichte bis zur Gegenwart. Für jede historische Epoche werden zunächst die materiellen Aspekte „Nahrung und Jagd“, „Arbeitskraft“, „militärischer Gebrauch“ und „Vergnügen“ behandelt. Hierauf folgen mentalitätsgeschichtliche Ausführungen zum Tier in Religion und Ethik, in Literatur, bildender Kunst, Musik und in der Wissenschaft. Ein Register der behandelten Tiere sowie ein Orts- und Namenregister erleichtern den punktuellen Zugriff und machen den Band zusammen mit dem ausführlichen Literaturverzeichnis zu einem Kompendium zur Kulturgeschichte von Mensch und Tier.
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Kommentar
Mensch und Tier in der Geschichte Europas
Dieses Buch ist ausgesprochen spannend und anregend, wenn Sie sich für das Verhältnis zwischen Mensch und Tier interessieren.
Es behandelt Urzeit, Griechische Antike, Römische Antike, Germanisch-keltisches Altertum, Mittelalter, Frühe Neuzeit und 19./20. Jahrhundert.
Für jede dieser Epochen wird das Verhältnis von Mensch und Tier in den wichtigsten Lebensbereichen geschildert: Ernährung und Jagd, Tiere als Arbeitskraft, Militärische Nutzung, Vergnügen, Religion, Bildende Kunst, Literatur, Musik, Wissenschaft. So entsteht ein ausserordentlich vielfältiges Bild der Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Am Schluss jedes Kapitels wird die epochentypische Einstellung zum Tier zusammengefasst. Dadurch wird unter anderem der Wandel deutlich, den das Verhältnis von Mensch und Tier in der abendländischen Geschichte durchgemacht hat.
Interessante Phänomene
Es wimmelt in diesem Buch von interessanten Phänomenen. Als Beispiel seien die Tierprozesse erwähnt, die im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit durchgeführt wurden. Man stellte Schädlinge wie Mäuse oder Heuschrecken vor ein kirchliches oder weltliches Gericht, wenn sie in Massen auftraten. Die geistlichen Gerichte kümmerten sich um das Ungeziefer, die weltlichen Gerichte um schädliche Haus- und Nutztiere. Dabei erhielten die Tiere manchmal auch einen Verteidiger und es galten bestimmte Verfahrensvorschriften:
Man schickte einen Boten zu den Tieren auf’s Feld der sie aufforderte, zum gesetzten Termin zu erscheinen – beispielsweise beim Bischof von Lausanne. Bei der Verhandlung nahm der Richter ein oder mehrere Exemplare der Schädlinge in die Hand und befahl ihnen, innerhalb von drei Tagen das Gebiet, in dem sie sich aufhielten, zu verlassen. Hielten sich die Tiere an diesen Spruch, dankte man Gott im Gebet, blieben sie trotzig, musste der Prozess fortgeführt werden. Der Richter verfluchte die Schädlinge, eine Prozession zog hinaus auf’s Feld und sprach dort eine Exorzismus-Formel.
Typisch war zum Beispiel die Fassung, welche im Jahre 1452 am bischöflichen Gericht in Lausanne verwendet wurde:
„Ich exorziere euch, krankheitsbringende Würmer oder Mäuse, beim allmächtigen Gott, dem Vater, und Jesus Christus, seinem Sohn, und dem Heiligen Geist, der aus beiden hervorgeht, damit ihr sogleich von diesen Gewässern, Feldern oder Weinbergen usf. verschwindet und nicht weiter in ihnen wohnt, sondern zu solchen Örtlichkeiten umzieht, wo ihr niemandem schaden könnt. Ich verfluche euch von seiten des allmächtigen Gottes und des ganzen himmlischen Hofes und der heiligen Kirche Gottes, dass ihr, wohin auch immer ihr gehen werdet, verflucht seid, dass eben ihr von Tag zu Tag abnehmt und schwindet, bis von euch an keinem Ort mehr Überreste zu finden sind, ausgenommen solche, die dem Heil und Gebrauch der Menschen nützlich sind. Dies zu gewähren möge sich der herablassen, der kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten und die Welt durch das Feuer.“
Professionelles Justizpersonal
Anzufügen ist, dass diese Prozesse in vollem Ernst durchgeführt wurden und mit professionellem Justizpersonal. Und man richtete sich damit an die Tiere selbst, nicht an dahinter stehende Geister und Dämonen. Es ging also nicht einfach um eine magische Handlung.
So skurril solche Prozesse aus heutiger Sicht auch aussehen mögen – immerhin wurde das Ungeziefer damit in gewisser Weise ernst genommen.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz