Bärlauch weiss was er will und setzt sich durch. Das sieht man daran, wie souverän der Bärlauch den Winter überwindet.
Deshalb hilft Bärlauchtinktur Menschen, die sich nicht entscheiden können und Menschen, denen es an Durchsetzungskraft fehlt.
Mit dieser schönen Geschichte begründete ein Naturheilpraktiker vor kurzen die Verordnung von Bärlauchtinktur an eine Patientin mit Entscheidungsproblemen.
Solche Geschichten sprechen Menschen oft an. Und wer könnte nicht einen solchen Helfer brauchen. Und manche Geschichten sind auch wertvolle Kulturschätze.
Aber die Geschichte von der Bärlauchtinktur als Helfer bei Entscheidungschwäche und Durchsetzungsmangel ist sehr funktional: Bärlauchtinktur als Problemlöser. Einfach, schnell, käuflich, konsumierbar. Passt gut in unsere Zeit.
Bei Geschichten müsste man zudem auch hinschauen, was sie genau aussagen.
Die Fähigkeit des Bärlauchs, zu wissen was er will und sich durchzusetzen, soll sich offenbar auf Menschen mit Entscheidungsproblemen übertragen. Wie das genau gehen soll bleibt offen.
Bärlauch hat aber keine Entscheidungsprobleme, weil er gar keine Wahl hat. Er entwickelt sich fraglos nach einem Programm, das in seinen Genen festgelegt ist.
Man könnte also auch sagen, Bärlauch ist ein Vorbild für die Erfüllung eines vorgegebenen Plans (wie jede Pflanze). Soll die Bärlauchtinktur also diese Fähigkeit auf den Menschen übertragen? Dann gute Nacht!
Die Annahme, dass Bärlauch weiss, was er will, setzt voraus, dass er ein Bewusstsein von sich und seinen Wahlmöglichkeiten hat.
Und ja, Bärlauch setzt sich durch – unter den Bedingungen seiner ökologischen Nische, an die er seit Millionen von Jahren angepasst ist. Menschen sind aber nicht derart festgelegt auf eine ökologische Nische. Zum Glück. Vielleicht hat es auch darum der Bärlauch etwas einfacher.
Zudem täuscht der oberflächliche Eindruck: Wir sehen eben nur diejenigen Bärlauch-Exemplare, die sich durchgesetzt haben. Die um ein Vielfaches zahlreicheren Exemplare, welche schon im Samenstadium eingehen, sehen wir nicht. Soll ich jetzt daraus schliessen, die Mehrzahl der Bärlauche seien Versager?
Solche Vermenschlichung von Heilpflanzen halte ich für eine üble Tendenz. Lassen wir bitte schön die Pflanzen doch einfach Pflanzen sein – und freuen wir uns gerade deswegen an ihnen.
Den Pflanzen werden hier nämlich menschliche Phantasien unterschoben, die mit ihnen nichts zu tun haben. Ohne dass den Produzenten dieser Fantasien das bewusst zu sein scheint.
Und wenn auf der Basis solcher Fast-Food-Psychosomatik Menschen behandelt werden, ist das meines Erachtens total fragwürdig und willkürlich.
Patienten mit echten psychischen Problemen werden so schlicht und einfach verarscht.
Das sage ich nicht zuletzt als jemand, der zwei mehrjährige Psychotherapie-Ausbildungen absolviert hat, während denen mein Respekt vor der Komplexität psychischer Prozesse stark gestiegen ist.
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Unterscheidungsmerkmale: Bärlauch, Maiglöckchen, Herbstzeitlose
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Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
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Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital
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