Na, da bietet ein Prospekt doch tatsächlich eine bioenergetische Blütenessenzmischung an zur Unterstützung der Entwicklung von Potentialen, zur Auflösung von Unwohlsein in besonderen Lebenslagen und zur Erleichterung bei speziellen Anforderungen.
Wer kann ein solches Rund-um-Glücklich-Produkt nicht brauchen?
Hier wird ein Instant-Glück aus dem Fläschli verkauft. Wie schön. Auseinandersetzung mit sich und der Aussenwelt? Lernen durch Erfahrung und durch Scheitern? Nachdenken gar? – Alles Schnee von gestern.
Ein Unwohlsein in besonderen Lebenslagen wird nun schon gar nicht mehr überwunden durch Veränderung dieser Lebenslagen – nein, das schafft man viel leichter durch Auflösung des Unwohlseins mit einer bioenergetischen Blütenessenz.
Auffallend ist, wie allumfassend und zugleich inhaltsleer und vage diese Versprechungen sind – Jeder Mensch kann in jeder Lebenssituation eine bioenergetische Blütenessenz brauchen.
Das ist schon fast beneidenswert, weil es jede Reflexion erübrigt. In der Phytotherapie ist das explizit anders. Hier stellt sich in jedem Fall die Frage, ob die Anwendung einer Heilpflanze bei dieser bestimmten Krankheit oder bei diesen Beschwerden sinnvoll ist, welche Heilpflanze am besten zur Anwendung kommt, in welcher Form und Dosierung dies geschehen soll und ob allenfalls mit unerwünschten Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu rechnen ist.
Fragen, die jedenfalls eine Auseinandersetzung erfordern und nicht immer einfach zu beantworten sind.
Offenbar kommen aber Heilsversprechungen, die einfach nur wunderbar sind und jede Auseinandersetzung erübrigen, bei vielen Menschen gut an.
Jedenfalls boomt der Markt mit solchen Instant-Glücksbringern.
Nun könnte man natürlich sagen, das sei jedem seine eigene Sache und gehe niemanden sonst etwas an. Diese Meinung teile ich ganz und gar nicht, weil es sich hier auch um ein gesellschaftliches Phänomen handelt. Es geht nicht nur um das individuelle Bedürfnis, sein Unwohlsein mit einer bioenergetischen Blütenessenz aufzulösen.
Es fragt sich nämlich wohin das führt, wenn immer mehr Leute auf die kritische Auseinandersetzung mit inhaltsleeren und allumfassenden Heilsversprechungen verzichten.
Wer im privaten Bereich fraglos und dankbar allumfassenden Heilsversprechen auf den Leim kriecht, wird dies wahrscheinlich im politischen Bereich nicht viel anders halten.
Aus gesellschaftspolitischer Sicht halte ich diese Entwicklung für sehr problematisch, weil dadurch Populisten und Demagogen jeder Couleur leichtes Spiel haben. Darum braucht es eine breitere gesellschaftspolitische Diskussion über diesen fragwürdigen Trend, den übrigens Hans A. Pestalozzi schon 1985 etwas provokativ als „Sanfte Verblödung“ beschrieben hat (Das Buch ist schon lange vergriffen, aber lesenswert).
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch