Thymian sei ein Tausendsassa unter den Kräutern, titelt Claudia Richter in „Die Presse“. Ein bisschen reisserisch zwar, aber schauen wir uns den Text doch mal genauer an
(Zitate kursiv).
Thymian wurde von der österreichischen Gesellschaft für wissenschaftliche Aromatherapie und Aromapflege und von Vaga, der österreichischen Vereinigung für Aromapflege und gewerbliche Aromapraktiker, zur Duftpflanze des Jahres 2013 gewählt. Aha.
Thymian ist tatsächlich eine wichtige Ätherisch-Öl-Pflanze und die Wahl daher nachvollziehbar.
Was aber da über den Thymian geschrieben steht, kommt zum Teil sehr geschwurbelt daher.
Thymian bekämpfe Husten, Schmerzen und Bakterien, schreibt die Autorin.
Tatsächlich schreibt die Phytotherapie-Fachliteratur dem Thymian eine schleimlösende Wirkung zu. Das kann sich positiv auswirken bei produktivem Husten, ist aber wenig nützlich bei trockenem Reizhusten. Eine Differenzierung wäre hier sinnvoll.
Thymian wirkt auch gegen Bakterien, aber es wäre wichtig zu wissen, wo und in welcher Form. So pauschal ist die Aussage nicht sehr nützlich.
Dass Thymian gegen Schmerzen wirken soll, ist der Fachliteratur nicht bekannt. Wie soll denn das genau gehen und gegen welche Schmerzen bitte?
Es kommt aber noch schlimmer:
Thymian „ist ein altbewährtes Hausmittel gegen Husten, hilft bei der Fettverbrennung, kräftigt das Immunsystem, wirkt verjüngend auf den Gehirn- und Nervenstoffwechsel und hemmt Entzündungen sowie Schmerzen.“
Das mit dem „altbewährten Hausmittel“ sehe ich auch so. aber was soll der Unfug mit der Behauptung, Thymian helfe bei der Fettverbrennung? Wie genau macht er das denn? Schlank mit Thymian? Das funktioniert vielleicht, wenn ich nur noch Thymiantee zu mir nehme. Das reduziert natürlich die Kalorienzufuhr auf quasi Null, ist aber nicht gerade praktikabel. Und so ist es wohl auch nicht gemeint.
Und die Aussage, Thymian kräftige das Immunsystem, ist genauso windig. Was genau soll da passieren im Immunsystem und wie wurde das festgestellt? Und falls tatsächlich Veränderungen in irgendeinem Teil des komplexen Immunsystems stattfinden, ist immer noch die Frage, ob der betreffende Mensch auch so davon profitiert, dass er weniger krank wird. Alles ungeklärt, tönt aber toll.
Verjüngend auf den Gehirn- und Nervenstoffwechsel soll der Thymian auch noch wirken. Wer hätte das denn nicht gerne. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Verjüngung nicht gleich zurück bis in die Pubertät geht, weil in dieser Lebensphase das Gehirn ja immerhin ein bisschen anders tickt und die lieben Mitmenschen mit dieser Retro-Veränderung vielleicht ihre liebe Mühe hätten.
Dass Thymian Entzündungen hemmt, ist vorstellbar (Lamiaceen-Gerbstoff). Aber auch hier wäre eine Präzisierung wichtig. Wann, wo und in welcher Form angewandt?
Schauen wir uns ein weiteres Zitat an:
„So wurde in zahlreichen Studien – unter anderem auch an der Universität Graz – nachgewiesen, dass die ätherischen Öle des Thymians antibakteriell und fungizid, also pilzabwehrend, wirken. ‚Man kann diese Öle daher zur Raumbeduftung verwenden. Die in der Luft zirkulierenden Moleküle können dann Bakterien oder Pilzsporen schwächen oder beseitigen’, erwähnt Karner. ‚Das wird pflegerisch auf einigen Krankenhausstationen eingesetzt.’ Erste Hinweise zeigen, dass die ätherischen Thymian-Öle auch eine schwache antivirale Wirkung haben könnten.“
Dass Thymianöl antibakteriell und fungizid wirkt, ist tatsächlich gut mit Studien belegt. Allerdings hauptsächlich mit Bakterien- und Pilzkulturen im Labor. Wenn nun hier unter weglassen der Präzisierung „im Labor“ geschrieben wird, eine antibakterielle und fungizide Wirkung sei nachgewiesen, und dann übergangslos diese antimikrobiellen Effekte auf die Anwendung von Thymianöl als Raumbeduftung übertragen werden, dann ist dies ziemlich irreführend.
In der Kultur im Labor erreicht man locker eine viel höhere Konzentration an Thymianöl als in der Luft.
Weiter:
„Karner persönlich bereitet in Grippezeiten oder für Verwandte, die ins Spital müssen, immer ein Deo aus einer Mischung aus ätherischen Thymianölen und Hydrolaten oder Alkohol vor, um so das Risiko einer bakteriellen Infektion (zum Beispiel Ansteckung mit Grippe oder Krankenhauskeimen) zu reduzieren. ‚Das ist in der wissenschaftlichen Theorie nicht nachgewiesen, aber in der gelebten Praxis hundertfach erprobt.’“
Grippe ist allerdings keine bakterielle Infektion sondern viral bedingt – und gegen Viren ist die Wirkung von Thymianöl weniger gut belegt als gegen Bakterien. Aber solche Unterschiede sind wohl nicht in diesem Artikel nicht so wichtig.
Ein besonderes „Highlight“ ist der Satz: „Das ist in der wissenschaftlichen Theorie nicht nachgewiesen, aber in der gelebten Praxis hundertfach erprobt.“
Ich würde mal davon ausgehen, dass man in der wissenschaftlichen Theorie gar nichts nachweisen kann. Nachgewiesen wird allenfalls etwas in einem Experiment, das heisst in einer kontrollierten Erfahrung. Und der Verweis auf die hundertfache erprobte gelebte Praxis ist eine leere Worthülse. Hier wird einfach ausgeblendet, wie sehr uns Erfahrung täuschen kann.
Siehe dazu:
Naturheilkunde: Erfahrung genügt nicht als Begründung
Naturheilkunde: Vom sorgfältigen Umgang mit Erfahrung
Naturheilkunde braucht sorgfältigeren Umgang mit Erfahrung
Und weiter:
„Wirkungsvoll wie Antibiotika
Ganz wissenschaftlich ging es der deutsche Chemiker Erich Schmidt an: Er und Kollegen analysierten in ihrer wissenschaftlichen Arbeit die chemische Zusammensetzung der vier Chemotypen des ätherischen Öls von Thymian vulgaris und prüften ihre antibakteriellen Eigenschaften. ‚Die höchste Aktivität zeigt der Chemotyp Thymol, er kann es hinsichtlich Wirkstärke mit etlichen künstlich hergestellten Antibiotika aufnehmen‘, sagt Wolfgang Steflitsch, Lungenfacharzt und Präsident der österreichischen Gesellschaft für wissenschaftliche Aromatherapie und Aromapflege.“
(Schreibfehler Thymian vulgaris statt Thymus vulgaris im Original)
Thymol wirkt tatsächlich ausgezeichnet antibakteriell.
Aber: Verglichen mit Antibiotika wird seine Wirkung in der Regel in Bakterienkulturen im Labor. Aussagen wie „Wirkungsvoll wie Antibiotika“ und „kann es hinsichtlich Wirkstärke mit etlichen künstlich hergestellten Antibiotika aufnehmen“ unterstellen aber eine Ebenbürtigkeit in der therapeutischen Situation im Patienten und sich daher irreführend.
„Seine Öle können die Stimmung aufhellen, wirken ausgleichend und konzentrationsfördernd.“ Derlei könne man mit Duftlampen oder Inhalationen erreichen.
Als Indikation für die Anwendung von Thymianöl werden ausserdem aufgeführt „Angstzustände“, „Durchblutungsstörungen“ und „Stress“
Angstzustände – für diese Empfehlung von Thymianöl gibt es keine fundierte Belege, im Gegensatz zum Lavendelöl (Lasea®), für welches zur Anwendung bei leichteren Angstzuständen positive Studien vorhanden sind.
Durchblutungsstörungen – bei welcher Art von Durchblutungsstörungen soll Thymianöl denn helfen? Und in welcher Form soll es angewendet werden? – Sehr unplausibel und nebulös.
Stress – diese Empfehlung bleibt eine Behauptung ohne Boden.
In dem Artikel wird zudem versprochen, dass Thymianöle die Stimmung aufhellen sowie ausgleichend und konzentrationsfördernd wirken können.
Die Stimmung aufhellen und konzentrationsfördernd wirken – das können Thymianöle möglicherweise, doch sind dies wohl sehr individuelle Reaktionen, die bei manchen Menschen auftreten und bei anderen nicht. Und „ausgleichend“ ist eine nebulöse Aussage – was ist damit genau gemeint und wie soll diese Wirkung zustande kommen?
Quelle:
http://diepresse.com/home/gesundheit/1335717/Thymian-ein-Tausendsassa-unter-den-Kraeutern?_vl_backlink=/home/gesundheit/index.do
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch