Die Gesundheits-Redaktion der österreichischen Zeitung „Der Standard“ beschreibt kritisch das fragwürdige Geschäft mit den Power-Balance-Armbändern. Nicht selbstverständlich für eine Redaktion, die immer wieder mal rührend naive Artikel über alternative Heilmethoden publiziert.
„Der Standard“:
„“Power Balance“-Armbänder sollen Kraft spenden, die Leistung steigern sowie die Flexibilität und das Gleichgewicht stärken. Die Liste der Befürworter ist prominent, immerhin dienen zahlreiche Profisportler, darunter Formel 1-Rennfahrer Rubens Barrichello, Fußballer David Beckham, die US-Golfer Ricky Barnes und Stacy Lewis oder Iron Man-Weltmeister Michael Raelert als Markenbotschafter. Aber auch Persönlichkeiten wie der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und Schauspieler Robert de Niro wurden schon mit dem wundersamen Energiespender gesichtet.“
Etwa 40 Euro kostet das Original der Firma „Power Balance“. Nachahmermodelle gibt es schon ab 10 Euro.
Der Power-Balance-Erfinder Josh Rodarmel warnt auf der Unternehmens-Homepage allerdings ausdrücklich vor derartigen Billig-Imitationen. Über die genaue Wirkungsweise der Power-Balance-Armbänder hüllt sich der US-amerikanische Hersteller in Schweigen. Detaillierte Angaben dazu sind allerdings auch nicht nötig, weil die Produkte auch ohne so gekauft werden.
Für Umsätze im zweistelligen Millionenbereich sorgen neben den Promis auch nebulose Formulierungen wie „jahrtausendealte Erkenntnis fernöstlicher Kulturen“, „unser Wohlbefinden hängt von der Natur ab“ und „hauchdünne Power Balance Hologramme, die auf Grundlage dieser Philosophie entstanden sind“.
Mit solchen einlullenden Leerformeln lassen sich offensichtlich viele Leute einfangen.
Etwa sechs Gramm Silikon und zwei Mylar-Hologramme sollen ein unerklärliches energetisches Geheimnis in sich bergen. In Video-Clips wird die angebliche Wunderkraft der Power-Balance-Armbänder so demonstriert: Eine Versuchsperson steht auf einem Bein und streckt beide Arme seitlich aus, während ein Versuchsleiter so lange auf einen der beiden Arme drückt, bis die Testperson das Gleichgewicht verliert. Anschliessend wird das Prozedere wiederholt, doch diesmal trägt die Testperson ein „Power Balance“-Armband und – oh Wunder: Der Proband hält dem Druck erfolgreich oder zumindest deutlich länger stand.
Solche Muskeltests, seien sehr leicht beeinflussbar, da beide Teilnehmer – also sowohl der Versuchsleiter als auch der Proband – wissen, wann das Armband im Einsatz ist und was geschehen soll, sagt Friedrich Aumayr, der stellvertretende Vorstand des Instituts für Angewandte Physik an der TU-Wien. Die gezeigte Kraftentfaltung in den Video-Clips beruht lediglich auf Selbsttäuschung, etwa durch Suggestion, selektive Wahrnehmung oder den Placebo-Effekt. Dieser Meinung schliesst sich auch die US-Medizinerin Hariett Hall an, die im „Skeptiker“ von „Pseudowissenschaftlichem Unsinn“ schreibt und auf die Notwendigkeit sogenannter randomisiert-kontrollierter Doppelblindstudien verweist, in denen weder Versuchsleiter noch Proband wissen, wann ein „Power-Balance“-Armband und wann ein Placebo im Einsatz ist.
Bislang existieren zumindest zwei voneinander unabhängige Studien, die diesen Qualitätskriterien wissenschaftlicher Forschung gerecht werden. 42 australische beziehungsweise 35 US-amerikanische Versuchspersonen wurden dabei standardisierten Tests zur Messung von Sprungkraft, Gleichgewicht, Flexibilität und Muskelstärke unterzogen. Weder die Probanden noch die Versuchsleiter wussten, wer das Original-Armband trug und wer ein „wirkungsloses“ Imitat. Das Resultat: In beiden Untersuchungen war kein einziger statistisch signifikanter Unterschied oder Zusammenhang festzustellen.
Sollte das Tragen des Power-Balance-Bands mit energetisiertem Mylar-Hologramm also tatsächlich wirken, ist dafür ausschließlich der Träger selbst verantwortlich. So gesehen hätte ein persönlicher Glücksbringer zum gleichen Resultat geführt – würde allerdings das Konto von Josh Rodarmel deutlich weniger füllen.
Für den angeblichen Mechanismus lasse sich nach dem derzeitigen Stand der Forschung keine Wirksamkeit feststellen, der über den Placebo-Effekt hinausreicht, urteilt Friedrich Aumayr, wobei er damit den Herstellern jedoch keinerlei betrügerische Absicht unterstellen will.
Die australische Verbraucherbehörde ist da anderer Ansicht und hat erwirkt, dass „Power Balance“ seine Produkte nicht mehr mit Slogans wie „steigert Kraft, Flexibilität und Gleichgewicht“ vermarkten darf. In Spanien und Italien wurde die Firma sogar wegen irreführender Werbung zur Zahlung von Bußgeld verurteilt.
Konsumenten rät Aumayr zur Vorsicht, wenn ein Produzent derartige Wirkungen ohne die Vorlage wissenschaftlicher Belege verspricht. Wenn er von Frequenzen lese, die in irgendwelchen Substanzen eingebettet seien, mache ihn das zunächst einmal stutzig, erklärt der Physiker. Bei dem Stoff mit dem geheimnisvollen Namen „Mylar“ handele es sich schließlich um nichts anderes als Polyethylenterephthalat – jenem Kunststoff, aus dem auch Plastiksäcke hergestellt werden. Dass darin tatsächlich irgendwelche Energien eingelagert seien, könne er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Demnach dürfte das Power-Balance-Armband den Trägern wohl vor allem als Projektionsfläche dienen. Dieses Fazit legt zumindest eine 2010 publizierte Studie der Universität Köln nahe, in der die Effekte von Glücksbringern auf die körperliche und geistige Produktivität untersucht wurden. Es zeigte sich, dass jene Versuchspersonen, die auf die „magische Unterstützung“ solcher Objekte vertrauten, sich auch stärker für die Lösung einer Aufgabe motivieren konnten und somit auch bessere Resultate erzielten. Friedrich Aumayr dazu: Früher hätten die Menschen ein Amulett, ein Kettchen oder ein Kreuz um den Hals getragen und sich dadurch sicherer und besser gefühlt, sagt Friedrich Aumayr, und ergänzt, dass es sich mit dem Power-Balance-Armband wohl ähnlich verhalte – es sei quasi unser Amulett der Gegenwart.
Konsequenterweise schreibt der „Standard“ vom „Amulett der Postmoderne“.
Quelle:
https://derstandard.at/1361240662519/Energie-Armband-Amulett-der-Postmoderne
Kommentar & Ergänzung:
Jedenfalls ein teures Placebo. Mit sogenannten „Glücksbringern“ oder „Amuletten“ kann man locker und spielerisch umgehen und dann ist dagegen wohl nicht viel einzuwenden.
Wenn damit aber die Vorstellung verbunden ist, dass man auf diese Weise ganz spezielle, geheime Kräfte für sich mobilisieren kann, dann ist die damit verbundene Machtphantasie schon in Frage zu stellen.
Und wenn so viele Leute auf esoterisch aufgeladene, wohlklingende, aber inhaltsleere Phrasen fliegen und sich von derart bescheuerten Tests beeindrucken lassen, dann gibt das allerdings schon zu denken. Wer sich derart leichtgläubig von Heilsversprechen beeindrucken lässt, tut dies möglicherweise nicht nur bei Power-Balance-Armbändern, sondern auch bei politischen Phrasendreschern, Schäumschlägern und Illusionskünstlern à la Berlusconi (der nur ein besonders eklatantes Beispiel ist).
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
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