Kürzlich wurde ich an einem Kurs gefragt, ob Weihrauch gegen Rheuma als Tee verwendet werden könne. Das geht nicht, aber Weihrauchharz lässt sich sehr unterschiedlich einsetzen. Daher hier ein Blick ins Weihrauch-Thema:
In der indischen Medizin (Ayurveda) wird Weihrauch als „Salai gugal“ seit langem bei vielen Beschwerden eingesetzt.
Die Phytotherapie-Forschung hat diese Tradition aufgenommen und im Labor und mit klinischen Studien überprüft.
Es gibt Studien mit positiven Ergebnissen bei Arthritis, Colitis ulcerosa, Asthma bronchiale, Morbus Crohn, Arthrose. Allerdings sind die Ergebnisse nicht eindeutig genug für eine abschliessende Beurteilung.
Am besten abgesichert ist offenbar, dass Weihrauchkapseln Bewegungseinschränkungen bei altersbedingter Abnützung (Arthrose) der Kniegelenke lindern können. Der Effekt ist nicht besonders groß, jedoch merkbar und gut abgesichert.
Quelle: http://www.medizin-transparent.at/weihrauch-heilig-und-heilsam
Dieser Hinweis von „Medizin Transparent“ auf eine Wirksamkeit von Weihrauch bei Arthrose ist vor allem deshalb interessant, weil die Phytotherapie-Fachliteratur bisher Weihrauch eher im Bereich Arthritis ansiedelt.
Alle diese Studien haben Weihrauch peroral untersucht – also die Einnahme von Weihrauchpulver oder Weihrauchextrakt. Inzwischen gibt es auch Weihrauchsalbe und Weihrauchbäder, doch gibt es keine plausiblen Hinweise darauf, dass die Wirkstoffe durch die Haut aufgenommen werden.
Weihrauchharz ist aber selbstverständlich auch seit Urzeiten ein Räuchermittel.
Weihrauchharz (in Tränenform) kann pur gekaut werden bei Schleimhautentzündungen des Mundes (Quelle: Teedrogen und Phytopharmaka, Max Wichtl, 2009, Seite 472, anzuschauen im Buchshop).
Dann gibt es noch das ätherische Weihrauchöl. Seine Zusammensetzung unterscheidet sich sehr von derjenigen des Weihrauchharzes. So muss auch von einer unterschiedlichen Wirkung ausgegangen werden.
Über die Wirkung von ätherischem Weihrauchöl zirkulieren sehr unterschiedliche und vor allem sehr spekulative Angaben.
So zählt zum Beispiel Christian Wabner im „Lexikon der Aromatherapie“ folgende „Körperliche Indikationen“ auf:
„Akne, Asthma, Blutungen, (chronische) Bronchitis, chronischer Durchfall, Geschwüre, Gonorrhoe, Grippe, Harnblasenentzündung, reife, trockene oder faltige Haut, Hautpflege, Husten, Immunschwäche, Karbunkel, Katarrh, Kehlkopfentzündung, Krampfadergeschwür, Menstruationsschmerzen, Narben, Nasennebenhöhlenentzündung, Pickel, Rachenentzündung, Rheumatismus, Schnupfen, Schwangerschaftsstreifen (auch vorbeugend), Skrofulose, Spermatorrhoe, Verdauungsstörungen, Verletzungen, Weissfluss, Wunden, Zwischenblutungen.“
Das ist eine sehr weitläufige Aufzählung. Wie kommt sie zustande?
In der Einleitung schreibt Wabner, dass die Indikationen „der zum Teil jahrhundertealten Literatur entnommen und um eigene Erfahrungen ergänzt“ wurden.
Nun sind Tradition und jahrhundertelange Anwendung noch keine Garanten für Wirksamkeit. Tradition kann sich auch jahrhundertelang täuschen und die Medizingeschichte zeigt, dass Irrtümer sich sehr zäh über lange Zeit halten können.
Siehe dazu:
Komplementärmedizin – hat Tradition Recht?
Auch die eigene Erfahrung, auf die sich Wabner beruft, ist täuschungsanfällig.
Siehe:
Pflanzenheilkunde -Erfahrung allein genügt nicht zur Begründung
In der Einleitung schreibt Wabner, dass die aufgeführten Eigenschaften und Indikationen „allgemeine Hinweise“ darstellen und „keinesfalls als Rezepturvorschläge zu verstehen“ sind.
Gut, aber was nützen denn „allgemeine Hinweise“, die offenbar nicht als Empfehlung aufgefasst werden sollen? Was fängt der Leser oder die Leserin damit an, vor allem wenn Fachkenntnisse fehlen, die eine eigene Einschätzung möglich machen würden?
Und die Aufzählung steht unter dem Titel „Körperliche Indikationen“.
„Indikationen“ sind aber nicht einfach „allgemeine Hinweise“!
Wikipedia definiert „Indikationen“ so:
„Der medizinische Begriff Indikation (von lateinisch indicare „anzeigen“), Synonym: Heilanzeige, steht grundsätzlich dafür, welche medizinische Maßnahme bei einem bestimmten Krankheitsbild angebracht ist und zum Einsatz kommen soll: Bei Krankheitsbild „X“ ist das Heilverfahren „Y“ indiziert, also angebracht.“
Stutzig macht auch ein weiterer Hinweis in der Einleitung:
„Es ist zu beachten, dass eine Anzahl von Eigenschaften und Indikationen aus der Phytotherapie übernommen wurden, wo sie meist für die Anwendung der ganzen Pflanze geschrieben sind.“
Das ist ein sehr problematischer Fehler, der in Aromatherapie-Büchern nicht selten anzutreffen ist. Indikationen (Anwendungsbereiche) oder Wirkungen aus der Phytotherapie, die sich auf die ganze Pflanze zum Beispiel als Tee oder Extrakt beziehen, auf die Anwendung von ätherischen Ölen in der Aromatherapie zu übertragen, führt meistens zu irreführenden Angaben.
Die ganze Pflanze – zum Beispiel als Kräutertee oder Pflanzenextrakt verwendet, enthält in der Regel eine ganze Reihe von Wirkstoffen, die nicht flüchtig und daher im ätherischen Öl nicht vorhanden sind – zum Beispiel Gerbstoffe, Schleimstoffe, Glykoside.
Daher kann man die Wirkungen und Indikationen nicht gleichsetzen!
Bei der oben aufgeführten Indikationsliste für Weihrauch sind also offenbar Angaben aus Phytotherapie (die sich in der Regel auf Weihrauchharz beziehen) und Angaben für Weihrauchöl vermischt. Es ist unklar, auf welche Anwendungsform sich die Angaben beziehen, doch werden die meisten Leserinnen und Leser wohl davon ausgehen, dass es sich um Angaben für das ätherische Öl handelt. Denn schliesslich stehen sie ja im „Taschenlexikon der Aromatherapie“.
Dazu kommt noch:
Keiner der Anwendungsbereiche in der Indikationsliste für Weihrauch ist auch nur einigermassen glaubwürdig belegt.
Und viele der Angaben sind vollkommen fragwürdig – zum Beispiel die Indikation (Heilanzeige!) Gonorrhoe (Tripper) für Weihrauch.
Wie genau soll ich mir das vorstellen? Ätherisches Weihrauchöl einatmen oder einreiben? Weichrauchharz einnehmen? Räuchern? – Auf keinem dieser Wege ist eine Wirksamkeit von Weihrauchöl gegen Tripper auch nur ansatzweise plausibel.
Und dann ist Gonorrhoe eine ernste Erkrankung, die antibiotische Behandlung genötigt. Meiner Ansicht nach müsste das erwähnt werden.
Solche Fragen könnte man fast zu jeder Indikation auf der Liste stellen.
Die Liste ist besonders deshalb irritierend, weil das Buch einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt und der Autor einen Professorentitel führt.
Daraus kann man lernen, dass ein Professorentitel noch keine Qualitätsgarantie ist.
Auf dem Cover des „Taschenlexikons der Aromatherapie“ wird Aromatherapie als eigenständiger „Bereich der Phytotherapie“ bezeichnet. Aber die Qualitätssicherungssysteme der Phytotherapie (z. B. Monografien von Kommission E und ESCOP) spielen in dem Buch keine Rolle. Fundierte Phytotherapie würde sich auf die Indikationen Arthritis, Colitis ulcerosa, Asthma bronchiale, Morbus Crohn und Arthrose beschränken – Bereiche, für die es zu mindestens Hinweise auf eine Wirksamkeit gibt – wenn Weihrauchharz eingenommen wird.
Aber die Liste der Indikationen im „Taschenlexikon der Aromatherapie“ kommt sehr viel eindrücklicher daher (Gonorrhoe! Krampfadergeschwür!…).
Es braucht sehr viel mehr kritische Auseinandersetzung mit solchen Aussagen (was ich hiermit versucht habe…).
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz