Freie Radikale und der von ihnen ausgelöste oxidative Stress gelten als schädlich. Sie werden mitverantwortlich gemacht für das Altern und sollen an der Entstehung verschiedener Krankheiten beteiligt sein (z. B. Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, rheumatoide Arthritis). Antioxidanzien, die freie Radikale inaktivieren, gelten daher als gesund. Sie werden daher in einer Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln als „Anti-Aging“-Präparate und zur Krankheitsprävention (z. B. vor Krebs) angeboten.
Diese von Laien und Fachleuten sehr populäre Ansicht wird seit geraumer Zeit von Wissenschaftlern in Frage gestellt.
So auch vom Team um Professor Dr. Pietro Ghezzi an der Brighton & Sussex Medical School in Großbritannien, das die vorhandene Evidenz zur vorbeugenden oder therapeutischen Anwendung von Antioxidanzien im «British Journal of Pharmacology» zusammengetragen hat. Darin kommen die Forscher zum Schluss, dass Antioxidanzien nur in Fällen eines nachgewiesenen Mangels zum Einsatz kommen sollten. Andernfalls hätten sie keine positiven Effekte und könnten sogar schaden.
Bisher habe noch kein Antioxidans in randomisierten klinischen Studien so erfolgreich abgeschnitten, dass es für eine entsprechende Zulassung gereicht hätte.
Antioxidanzien könnten im Gegenteil sogar Schaden anrichten, wenn sie nämlich freie Radikale abfangen, die an Reaktionen des Immunsystems und der Synthese von Hormonen beteiligt seien. Hier eine passende Dosis zu finden, die einen schädlichen Überschuss der Moleküle abfängt, die physiologisch notwendige Menge jedoch übrig lässt, sei vermutlich extrem schwierig.
Quelle:
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=64406
DOI: 10.1111/bph.13544
Kommentar & Ergänzung:
Der menschliche Organismus enthält schon endogen („von Haus aus“) eine ganze Reihe von antioxidativ wirksamen Stoffen, zum Beispiel Proteine wie Transferrin, Albumin, Coeruloplasmin, Hämopexin und Haptoglobin, sowie Enzyme wie Superoxiddismutase (SOD), Glutathionperoxidase (GPX) und Katalase. Für die antioxidative Aktivität dieser Enzyme sind Spurenelemente wie Selen, Kupfer, Mangan und Zink wichtig.
Wichtig sind aber auch exogene Antioxidanzien, die von aussen zugeführt werden.
Dazu gehören Stoffe wie Ascorbinsäure (Vitamin C), Tocopherol (Vitamin E) und Betacarotin (Provitamin A), die vom Organismus benötigt werden, aber nicht bedarfsdeckend selber produziert werden können und daher von aussen zugeführt werden müssen.
Darüber hinaus gibt es in in pflanzlichen Nahrungsmitteln eine ganze Reihe von Antioxidanzien, die zur Inaktivierung von freien Radikalen beitragen können, aber nicht zwingend von aussen zugeführt werden müssen, weil sie in dieser Funktion durch andere Antioxidanzien ersetzbar sind. Dabei handelt es sich um sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Carotinoide (z. B. Lycopin, Lutein) und Polyphenole (Flavonoide, Anthocyane, Resveratrol, EGCG aus Grüntee), die in vielen Gemüsen, in Beeren und Obst sowie in Kräutern vorkommen.
Dass diese sekundären Pflanzeninhaltsstoffe als Bestandteil einer abwechslungsreichen Ernährung nützlich sind, steht ausser Frage.
Zunehmen kritisch gesehen wird nur die Zufuhr solcher Substanzen über Nahrungsergänzungsmittel – also in isolierter Form und in grösseren Mengen.
Dieses fragwürdige Geschäft boomt. Hersteller wie Burgerstein und Verkäufer – Internetshops, Apotheken, Drogerien – profitieren hier von überzogenen Hoffnungen und von Konsumentinnen und Konsumenten, die mit solchen Produkten ein schlechtes Gewissen beruhigen möchten, das ihnen nicht selten zuvor eingeredet wurde.
Siehe auch:
Antioxidanzien können Ausbreitung von Krebs beschleunigen
Antioxidanzien fördern möglicherweise Diabetes
Nicht übertreiben mit Antioxidanzien
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