Worum gehts?
Novemberpogrome 1938 im „Dritten Reich“
Antisemitismus im Nationalsozialismus
Das Buch bietet einen eindrücklichen Einblick in das Aufkommen des Antisemitismus durch die Schilderung der Ereignisse rund um die Novemberpogrome am Beispiel des Weindorfes Guntersblum.
Verlagsbeschreibung
November 1938 in einem deutschen Dorf
Im November 1938 geht im ganzen Deutschen Reich die Saat des Hasses auf. In Hunderten Gemeinden demütigen Einwohner ihre jüdischen Nachbarn. Sven Felix Kellerhoff zeigt am Beispiel des rheinhessischen Weindorfes Guntersblum, wie der Hass wucherte, ausbrach und welche Folgen er hatte.
Das heutige Bild des Novemberpogroms 1938 wird von den Vorgängen in Berlin und einigen anderen großen Städten wie München oder Essen dominiert. Doch das eigentlich Schockierende an den antisemitischen Übergriffen der „Reichskristallnacht“ war, dass sie anders als frühere organisierte Pogrome tatsächlich reichsweit und bis in die Provinz hinein stattfanden. Die Novemberpogrome sind die Zäsur zu einer neuen Qualität und Intensität der Verfolgung. Gerade der Blick in ein ganz normales Dorf macht die erschreckende Normalität des Judenhasses greifbar und unmittelbar einsichtig. Hier kannten sich Opfer und Täter tatsächlich, lebten eng zusammen. Sven Felix Kellerhoff erzählt von den ergreifenden Schicksalen der Betroffenen in Guntersblum. Er zeigt, wie das Gift des Antisemitismus sich ausbreitete, wie die Situation ab 1933 eskalierte, was im November 1938 genau geschah und wie die Vergangenheit den Ort bis heute nicht loslässt.
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Zum Autor Sven Felix Kellerhoff
Sven Felix Kellerhoff, geboren 1971 in Stuttgart, studierte Zeitgeschichte, Alte Geschichte und Medienrecht. Nach verschiedenen journalistischen Stationen arbeitet er seit 2003 als Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der »WELT«. Er ist Autor zahlreicher zeithistorischer Sachbücher. 2012 erhielt er den Ehrenpreis der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
Kommentar von Martin Koradi
Warum solche Bücher wichtig sind? Weil sie zeigen, wie wertvoll ein Rechtsstaat ist, dass der Rechtsstaat nicht als selbstverständlich angesehen werden kann, und dass die Decke der Zivilisation manchmal viel dünner ist, als wir meinen.
Das Weindorf Guntersblum wurde im November 2008 von seiner Geschichte eingeholt. Die „Welt“ veröffentlichte zwei Fotos aus dem Landesarchiv Speyer, die zu einer Serie von Aufnahmen gehören, die am 10. November 1938 in Guntersblum gemacht wurden und insgesamt sechs ältere Juden zeigen, die zu einem Demütigungsmarsch durch den Ort gezwungen worden waren.
Die sechs Gedemütigten und ihre Peiniger sind auf den Fotos gut zu erkennen und konnten identifiziert werden.
Kellerhoff bettet die Guntersblumer Geschehnisse ein in die historische Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg ein. Die Auswirkungen der Nazi-Propaganda und der Gesetze zur sozialen Ausgrenzung der Juden bezieht der Autor immer wieder auf die regionale Ebene herunter. Das Buch zeigt eindrücklich auf, wie erst die antisemitische Stimmung und dadurch der Kreis der Täter, Helfershelfer und Dulder anstieg.
Zum Guntersblumer Verbrechen liegen zahlreiche Dokumente vor, darunter Vernehmungsprotokolle von Zeugen und Tätern, die von den Allierten befragt wurden. Dadurch konnte das Verbrechen fast lückenlos aufgearbeitet werden.
So kann Kellerhoff als Historiker nach Antworten suchen auf die fundamentalen Fragen, wie das geschehen konnte, wie Nachbarn plötzlich zu Barbaren werden können und jene Menschen als Aussätzige behandeln, mit denen sie eben noch friedlich nebeneinander wohnten.
Kellerhoff schildert aber auch, wie sich die Geschichte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiter entwickelte und wie es zur Aufarbeitung kam.
Im Abschlusskapitel mit dem Titel „Bedeutung“ geht der Autor der Frage nach: Wie was das möglich?
Er schreibt dazu:
„Die Novemberprogrome 1938 brauchten beides: den grundsätzlichen Auftrag der Staatsspitze und lokale Initiativen, in denen nationalsozialistische Aktivisten ihren aufgestauten Hass abreagierten und sich häufig gleich noch selbst bereicherten. Genauso war es bei der Judenverfolgung insgesamt: Möglich wurde dieses mit Abstand schlimmste Verbrechen der mitteleuropäischen Geschichte nur, weil der Wille der Regierung auf die Bereitschaft ausreichend vieler Täter traf, schrittweise und mit oft grausamer Kreativität die Diskriminierungs- und Verfolgungsmassnahmen gegen eine kleine Minderheit zu eskalieren. Erst dieser doppelte Antrieb führte zur ‚kumulativen Radikalisierung’, die der Historiker Hans Mommsen zu Recht als die treibende Kraft beschreib, die schliesslich zum Holocaust führte…..
Sechs Millionen Menschen mussten sterben, weil untergeordnete Dienststellen und Einzelpersonen sich die nationalsozialistische Maxime des Judenhasses zu eigen machten und sie mit aller Kraft so gründlich wie möglich umzusetzen versuchten. Erst dieses furchtbare Engagement sorgte dafür, dass völlig unschuldige Menschen bis in die letzten Winkel Deutschlands, später des besetzten Europa diskriminiert, deportiert und umgebracht wurden.
Dabei blieb den Tätern, ihren Helfershelfern und den Nutzniessern stets Handlungsspielräume. Das kann man wiederum am Beispiel Gunterblum erkennen: Derselbe NSDAP-Funktionär, der zu den Antreibern des Demütigungsmarsches gehörte, schützte später im Krieg die jüdische Frau des ‚arischen’ Dorfarztes. Das freilich ist keineswegs entlastend, sondern zeigt im Gegenteil gerade die Möglichkeiten, die es trotz der eindeutig radikal antisemitischen Regierungspolitik vor Ort immer noch gab – die aber nur selten genutzt und meist ignoriert wurden.“
Es braucht mehr Sensibilisierung für solche Prozesse der Dehumanisierung. Wir leben in einer Zeit, in der vergleichbare Vorgänge jederzeit wieder vor der Tür stehen können.
Übersicht meiner eigenen gesellschaftspolitischen Texte und Buchempfehlungen.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde am Seminar für Integrative Phytotherapie in Winterthur (Schweiz) und Leiter von Kräuterwanderungen und Kräuterkursen
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