Sehr eindrücklich ist gerade zu beobachten, wie Klimawandelleugner und Rechtspopulisten wegen einer 16jährigen Schülerin komplett die Contenance verlieren und ab der Rolle sind. Auch ein Ständeratskandidat der SVP aus dem Kanton Zürich schlägt verbal um sich und versprüht Verschwörungsmythen zum Thema.
Was da an Hass, Häme und Diffamierung auf die Aktivistin Greta Thunberg losgelassen wird, zeigt sehr deutlich, dass diese Diffamierer einfach keine Argumente haben.
Greta Thunberg dagegen ist erstaunlich sattelfest in ihrer Argumentation. Sie zitiert präzis aus dem letzten IPCC-Bericht (vom Oktober 2018), zu dem 91 Wissenschaftler aus 40 Ländern beitrugen. Das muss eine harte Provokation sein für Leute, die sich vor allem durch Faktenresistenz auszeichnen. Die Schwedin formuliert darüber hinaus dem Ernst der Lage angemessen. Auch das muss eine Provokation sein für Leute, die auf Vogel-Strauss-Politik machen und den Kopf in den Sand stecken, um die Probleme nicht sehen zu müssen.
Der Philosoph Edward Kanterian von der Universität Kent schreibt in der NZZ (13. 9. 2019):
„Unsere Lebensgrundlagen sind durch den menschengemachten Klimawandel ernsthaft bedroht. Die Klimatologen agieren nicht alarmistisch, sondern besonnen. Und auch Greta Thunberg hält sich, bei Lichte besehen, ziemlich zurück.“
Quelle:
Man muss mit Greta Thunberg ja nicht überall gleicher Meinung sein und kann sie auch kritisieren. Aber mit Argumenten. Diffamierungen und Angriffe auf der persönlichen Ebene sind keine Argumente, sondern nur peinlich.
Warum also diese grosse Aufgeregtheit bei Klimawandelleugnern und Rechtspopulisten?
Die österreichische Zeitung „Der Standard“ schreibt:
„Thunberg wird von vielen Seiten kritisiert. Hinter ihr stecke eine PR-Maschinerie, sie sei nicht authentisch und nur eine Sprechpuppe für politische Agenden, heißt es oft. Doch die Reaktionen auf die 16-Jährige gehen noch viel weiter. Im Netz wird sie laufend beschimpft und verächtlich gemacht. Ihr Aussehen, ihr Auftreten und ihre mentale Verfassung werden angegriffen. Auch sexistische Beleidigungen muss sich die junge Frau gefallen lassen. Reaktionen, die keine Kritik sind, sondern Hass und Hetze.“
Der Beitrag im „Standard“ weißt auf Forschungen der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg hin. Dort beschäftigt man sich mit den verschiedenen Ausprägungen der Klimawandelleugner. An der Universität wurde zu diesem Zweck das Centre for Studies of Climate Change Denialism (CEFORCED) eröffnet. Hier konzentrierten sich die Forscher auf drei Gruppen: die Rohstoffindustrie, konservative Think Tanks und rechte Nationalisten. Für letztere analysieren die Wissenschaftler insbesondere Soziale Medien und Diskussionsforen. Studien haben gezeigt, dass der Prozentsatz der Klimawandelleugner unter männlichen Konservativen höher ist als unter anderen Gruppen. Bereits 2014 hieß es laut einem Bericht auf „New Republic“ in einem Papier der Forscher, dass für Klimawandelleugner nicht die Umwelt bedroht sei, sondern die moderne, industrialisierte Gesellschaft, die von „ihrer Art von Maskulinität“ erschaffen und dominiert wurde. Männliche Rechtskonservative fühlen sich laut diesem Bericht durch die Klimaschutzbewegung in ihrer Identität bedroht.
Zugleich erlebt diese Gruppe auch die Gleichstellung der Geschlechter als Bedrohung ihrer Identität. Nationalismus, Anti-Feminismus und Klimawandelleugnung sind laut den Wissenschaftlern überlappend und bestärken sich gegenseitig. Dazu kommt, dass Umweltschutz und Umweltaktivismus hauptsächlich als weiblich dominiert gesehen wird, wie Umfragen zeigen.
Eine junge Umweltaktivistin wie Greta Thunberg verkörpert deshalb alles, wodurch sich nationalistische, rechtskonservative Männer in ihrer Identität bedroht fühlen.
Quelle:
https://www.derstandard.at/story/2000108072760/netzhass-gegen-thunberg-zusammenhang-zwischen-frauenhass-und-klimawandelleugnern
Kommentar & Ergänzung:
Dass „gestandene“ Männer – und es sind vor allem Männer – durch eine 16jährige Schülerin derart das Gleichgewicht verlieren, ist schon beeindruckend.
Menschen neigen dazu, andere zu entwerten, wenn sie sie fürchten.
Es ist aber auch eine perfide Strategie, politisch Andersdenkende konstant auf der persönlichen Ebene zu diffamieren. Damit soll ihre Glaubwürdigkeit unterminiert werden. Niemand soll sie mit ihren Argumenten mehr ernst nehmen.
Das geschieht nicht nur mit Greta Turnberg, sondern auch mit Klimatologen, die vor der menschengemachten Klimaerwärmung warnen. Es wird konstant auf die Person geschossen. Es fällt dann weniger auf, dass die Klimawandelleugner selbst keine überzeugenden Argumente haben. Und es gerät aus dem Blick, wie stark die Szene der Klimawandelleugner und -verharmloser seit langem von der Erdöl- und Kohleindustrie gepusht wird und mit ihr verbandelt ist. Ein Beispiel dafür ist SVP-Präsident Albert Rösti als Präsident von Swissoil (Dachverband der Brennstoffhändler in der Schweiz).
Diffamieren statt argumentieren – ein beliebtes Motto von Klimawandelleugnern
Ein Beispiel dafür, wie Klimawandelleugner mit Lügen Klimatologen zu diffamieren versuchen, hat die Faktenckeck-Organisation Correctiv recherchiert (nachzulesen hier).
Dass Jugendliche sich politisch engagieren ist zu begrüssen. Es geht um ihre Zukunft, vor allem bei der menschengemachten Klimakrise. Und was Greta Turnberg in dieser Hinsicht an Mobilisierung erreicht hat, finde ich beeindruckend. Das heisst nicht, dass man auch mit allen Forderungen dieser Kimabewegung einverstanden sein muss. Wir Erwachsenen und Älteren müssen dieses Thema ernstnehmen und unseren Einfluss zur Geltung bringen – nicht zuletzt an den Wahlurnen. Den Kopf in den Sand stecken, wie es insbesondere die SVP macht – und in unseren Nachbarländern AfD und FPÖ – ist definitiv keine zukunftsfähige Option.
Das US-amerikanische Magazin „The Atlantic“ hat eine guten Text veröffentlicht dazu, warum Greta Thunberg Recht hat, zu Panik aufzurufen – und warum Erwachsene das nicht einfach wegreden sollten:
Greta Thunberg Is Right to Panic
The teenage climate-change activist has taken on anxieties far beyond her years. Adults should listen. (englisch hier).
Einen guten Kommentar zu diesem Thema hat die österreichische Journalistin, Schriftstellerin und Netzpolitik-Expertin Ingrid Brodnig im österreichischen „Standard“ veröffentlicht:
Jung, Frau, selbstbewusst – wie kann sie es wagen? Warum Greta Thunberg zum Feindbild im Netz wurde
Übersicht meiner eigenen gesellschaftspolitischen Texte und Buchempfehlungen.