Scheidungen gibt es nicht nur bei Menschen, sondern – für viele vielleicht überraschend – auch bei sozial monogamen Vögeln wie der Blaumeise. Die Verhaltensökologen Mihaj Valcu und Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen haben bei einer Langzeitstudie an Blaumeisen Trennungsraten von über 50 Prozent festgestellt. Doch aus welchen Gründen trennen sich die Paare wieder? Um das herauszufinden ist es nützlich zu wissen, welcher der beiden ehemaligen Partner Leidtragender ist und wer von der Trennung profitiert. (Animal Behaviour, 23. April 2008)
Lesen Sie hier die neuesten Erkenntnisse zum Scheidungsverhalten der Blaumeisen. Und im Kommentar dann Anmerkungen zu den manchmal verwickelten Beziehungen der Menschen zur Vogelwelt, zur Natur, zur Pflanzenwelt und zu den Heilpflanzen.
Frühere Studien an kleinen Sperlingsvögeln, zu denen auch die Blaumeise gehört, haben gezeigt, dass Weibchen offenbar stärker von einer Scheidung profitieren: Sie hatten danach jedenfalls mit einem neuen Partner mehr überlebende Nachkommen. „Nach diesen Erkenntnissen sollten es die Weibchen sein, welche die Initiative zum Verlassen eines Partners ergreifen“, kommentiert Bart Kempenaers. Er ist Direktor der Abteilung Verhaltensökologie und Evolutionäre Genetik am Max-Planck-Institut für Ornithologie.
In ihrer Untersuchung kommen Kempenaers und sein Mitarbeiter Mihaj Valcu allerdings zum Schluss, dass sich der höhere Bruterfolg durch den mit der Trennung einhergehenden Wechsel des Territoriums und weniger durch die Scheidung an sich erklären lässt: Denn nur wenn die Weibchen ihr bisheriges Territorium verlassen und an einen besseren Platz ziehen, steigert sich auch die Zahl der Nachkommen. Die Männchen dagegen bleiben fast ausschließlich in ihrem angestammten Territorium.
Die Max-Planck-Forscher
Die Max-Planck-Forscher haben darum nun Blaumeisenweibchen untersucht, die nach der Trennung auch am oder zumindest in der Nähe ihres bisherigen Standortes blieben, um den Einfluss des Territoriumwechsels vom Effekt der Scheidung zu trennen. Es zeigte sich, dass in diesem Fall nicht die Weibchen, sondern die Männchen ihren Bruterfolg nach einer Scheidung erhöhten: Sie paarten sich mit größeren Weibchen und erzielten einen höheren Bruterfolg als die ehemalige Partnerin.
Daraus ergibt sich wiederum die Frage, ob möglicherweise die Männchen den ersten Schritt zur Trennung machen. „Wir können nur spekulieren“ sagt Kempenaers. „Aber unsere Hypothese ist, dass ein größeres, stärkeres Weibchen die ursprüngliche Partnerin vertreibt und das Männchen samt Territorium übernimmt.“
Als Auslöser für die Trennung und damit als Scheidungsgrund ins Blickfeld käme dann die Konkurrenz zwischen den Weibchen um einen guten Paarungspartner.
Quelle: Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft?zur Förderung?der Wissenschaften e.V., München.
Originalveröffentlichung:??Mihai Valcu and Bart Kempenaers,?Causes and consequences of breeding dispersal and divorce in a blue tit (Cyanistes caeruleus) population, ?Animal Behaviour, 23. April 2008?
Kommentar: Scheidungsgründen bei Blaumeisen auf der Spur
Immer wieder erstaunlich, was man so alles untersuchen kann….
Das Thema hat im Übrigen aber auch eine historisch und philosophisch spannende Seite. Die oben vorgestellte Studie beschreibt das Scheidungsverhalten der Blaumeisen ja ziemlich neutral. Das war nicht immer so.
Als im 19. Jahrhundert Vogelschutzbewegungen aufkamen, wurden die gefiederten Freunde noch sehr nach moralischen Kriterien gewertet. Es gab ansprechende und weniger ansprechende Vogelarten. Ansprechende Vögel waren Singvögel mit farbenprächtigem Gefieder, die sich von Unkraut und Insekten ernährten. Die meisten von ihnen bauten kunstvolle Nester, paarten sich diskret einmal jährlich und störten andere Vogelarten nicht. Viele kehrten Jahr für Jahr treulich zum alten Nest zurück – und zwar, wie man hoffte, möglichst mit dem gleichen Weibchen oder Männchen. Bei diesen Vögeln sah man vorbildhaft die Mittelklassetugenden: Heimatliebe, Familienzusammenhalt, emsiger Fleiss und Treue. Viele von ihnen zeigten sogar Heldenmut im Kampf gegen andere, unerfreuliche Vogelarten.
Unerfreuliche Vogelarten hatte man in Schach zu halten, weil sie nach dem Massstab menschlicher Moral ein verwerfliches Leben führten. Es waren oft Raubvögel, die andere angriffen oder sich von Fleisch oder Aas ernährten. Schlimm waren auch Arten wie der Kuckuck, der seine Eier in fremde Nester legt, ohne seine Elternpflichten wahrzunehmen.
Für höchst verwerflich hielt man aber das Leben der Spatzen. Sie hatten nur raue und gar nicht wohlklingende Stimmen, sahen struppig und schnutzig-grau aus, waren Gassenvögel mit Herdenmentalität, die sich über Pferdemist hermachten. Proletarier eben. Sie waren aggressiv, lärmend, hemmungslos, verjagten bescheidenere Vögel, paarten sich unaufhörlich und öffentlich und bauten liederliche Nester.
Um wie viel moralischer und edler waren da beispielsweise die Schwäne mit ihrer lebenslangen Treue
Dieses Beispiel zeigt hervorragend die menschliche Neigung, die Natur und alle Vorgänge in ihr ganz und gar nach menschlichen Wünschen, Ideen, Bedürfnissen, Vorstellungen etc. zu interpretieren.
Diese anthropomorphen Deutungen haben den moralisch positiv gewerteten Vögeln sicher viel genützt. Sie wurden entsprechend gefördert, geschätzt und behütet. Die Anthropomorphisierung bewirkt, dass man sich in die solcher Massen vermenschlichten Tiere sehr gut einfühlen kann. Das war eine wichtige Quelle für Mitleid mit den Tieren.
Moralisch als minderwertig betrachtete Vögel wurden dagegen gnadenlos verfolgt und zum Teil ausgerottet.
Weil solche Anthropomorphismen unseren Wünschen und Bedürfnissen so nahe kommen, beziehungsweise mit ihnen im Grunde identisch sind, bekommen sie eine ungeheure Stärke und sind kaum aufzulösen.
Befreit man sich aber von diesem Wunschgebäude und schaut genauer hin, fällt es rasch in sich zusammen.
So hat auch die idealisierende Anthropomorphisierung der Vögel durch die ornithologische Forschung inzwischen einige Kratzer abbekommen.
Klar ist zum Beispiel: Es gibt nicht nur die Ewig-Treuen und die Lasterhaften. Die Vogelwelt kennt “Familienformen” in jeder Variante. Es gibt Vogelarten mit lebenslanger Monogamie, mit Saison-Monogamie, aber auch Varianten von “ein Männchen mit mehreren Weibchen” genauso wie “ein Weibchen mit mehreren Männchen”.
Das Spektrum der “Beziehungsformen“
Das Spektrum der “Beziehungsformen” ist also von Art zu Art unterschiedlich und sehr vielfältig.
Seit genetische Untersuchungen möglich sind, hat zudem das Image der “ewig-treuen” Vogelarten arg gelitten, weil klar wurde, dass ein erheblicher Teil des Nachwuchses aus Seitensprüngen entsteht.
Alle Klisches sprengt sodann die Beobachtung homosexueller Partnerschaften bei vielen Vogelarten.
Und nun noch das: hohe Scheidungsraten bei den niedlichen Blaumeisen!
Was lernen wir daraus?
Wir sollten meines Erachtens sehr vorsichtig damit sein, der Tierwelt menschliche Züge und Wertungen unterzuschieben. Erfahrungsgemäss legen wir damit nämlich nur unsere eigenen Vorstellungen hinein und lesen sie dann von dort wieder heraus. So kann man sich dann beruhigt einreden, dass die eigenen Vorstellungen und Werte ja auch von der Natur bestätigt werden. Ein “Pfahlbauer-Trick” sondergleichen.
Und warum erzähle ich das alles?
Weil es im Bereich der Pflanzenheilkunde auch eine Tendenz zur Anthropomorphisierung der Pflanzen gibt.
Dazu gehören Vorstellungen, dass die Heilpflanzen uns heilen wollen.
So vertrat zum Beispiel Eduard Bach, der Begründer der Bach-Blütentherapie, die Ansicht, dass die von ihm als Heilmittel ausgewählten Pflanzen das Bedürfnis haben, uns zu heilen.
Auch die Vorstellung, dass Heilpflanzen uns durch ihre Formen und Farben, durch ihre “Signatur”, mitteilen, wofür sie gut sind, hat anthropomorphen Charakter.
Ebenso die Rede vom “Wesen” der Pflanzen. Schaut man sich diese angeblichen Wesensbeschreibungen genauer an, sind sie vollgepackt mit anthropomorphen Elementen. Wenn das “Wesen” des Gänseblümchens darin bestehen soll, dass es uns von physischer und psychischer Gewalterfahrung heilt, wird die Pflanze zu unserer Dienstmagd. Das “Wesen”, das eigentlich ihr eigenes Inneres sein sollte (falls es ein solches Wesen überhaupt gibt), wird – schwups – in unseren Dienst gestellt. Weil dadurch die Pflanzen in ihrem Wesen auf den Menschen hin ausgerichtet sind, steht der Mensch hier im Zentrum der “Veranstaltung”. Wir haben es deshalb nicht nur mit anthropomorphen Elementen zu tun, sondern genauso mit anthropozentrischen Denkmustern.
Mehr zum Thema “Wesen der Pflanzen” hier:
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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