Es ist immer wieder die Rede von Ganzheitsmedizin, ganzheitlichem Heilen und ähnlichem. Diese Begriffe werden meist hoch positiv besetzt, obwohl sie meines Erachtens eigentlich viele Fragen aufwerfen sollten.
Der Anspruch und die Versprechungen, die mit solchen Begriffen verbunden werden, sind gewaltig.
Um „ganzheitlich“ zu heilen müsste man nur schon den Patienten / die Patientin ganzheitlich wahrnehmen, allumfassend, mit allen Facetten, körperlich, geistig, psychisch…..und dazu noch das ganze soziale, gesellschaftliche, ökologische Umfeld, in welches der betreffende Mensch eingebettet ist.
Unsere Fremdwahrnehmung genauso wie unsere Eigenwahrnehmung ist aber immer eingeschränkt und perspektivisch. Und sie wird vom Wahrnehmenden aktiv mitgestaltet.
In der „Ganzheitlichkeits-Ideologie“ stecken also oft ziemlich umfassende Allmachtsphantasien und problematische Menschenbilder.
Als Beispiel eine oft in diesem Zusammenhang gehörte Vorstellung:
Jede Krankheit ist heilbar, wenn dein Bewusstsein weit genug entwickelt ist. Du musst nur richtig denken und deine Einstellung verändern………
Jede und jeder hat damit scheinbar den „Steuerknüppel“ betreffend Gesundheit oder Krankheit vollständig selber in der Hand. Diese Idee lindert Ohnmachtsgefühle angesichts von schweren Krankheiten, welche Menschen unerklärlicherweise treffen können. Das ist eine Form der Kontingenzbewältigung. Die Vorstellung, dass man als Mensch einem Krankheitsprozess ausgeliefert sein könnte, wird damit eliminiert. Bekommt man eine Krankheit dann trotz aller „ganzheitlichen“ Bemühungen nicht in den Griff, stehen sehr rasch Vorstellungen von Schuld und Versagen vor der Tür. Wir haben es hier meines Erachtens mit einer Art von Tauschhandel zu tun: Reduktion von Ohnmachtsgefühlen mit dem Risiko von verstärkten Schuld- und Versagensgefühlen.
Diese Thematik hat meiner Ansicht nach auch Bedeutung auf einer politischen Ebene:
Dass Menschen unabhängig von Schuld und moralischem Versagen Krankheiten ausgeliefert sein können, weist auf eine fundamentale Fragilität der menschlichen Existenz hin.
Die Anerkennung dieser alle Menschen betreffenden Fragilität und Kontingenzabhängigkeit ist eine Grundlage für Solidarität bezüglich Krankheit und Behinderung.
Wer sich „ganzheitlich“ zurechtphantasiert, dass ein höher entwickeltes Bewusstsein jede Krankheit in den Griff bekommen kann, klinkt sich meines Erachtens tendenziell aus dieser Solidarität aus und pflegt ein elitäres Denken bezüglich Krankheit und Gesundheit.
Diese gesellschaftspolitischen Aspekte müssten meines Erachtens verstärkt in die politische Debatte um die Komplementärmedizin einfliessen. Beispielsweise wenn die Grüne Partei oder die Sozialdemokratische Partei, welche mit hohen Ansprüchen betreffend Menschlichkeit daher kommen, eine Anthroposophische Medizin staatlich fördern wollen, welche Krankheit und Behinderung als Folge von moralischem Versagen in einem früheren Leben erklärt.
Details dazu: Anthroposophische Pflege – offene Fragen
Meines Erachtens war es ein grosser Fortschritt der Moderne, dass Krankheit und Behinderung nicht mehr mit Sünde und moralischem Versagen erklärt werden.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
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