Süssholz enthält Wirkstoffe mit einem für den Typ-2-Diabetes hochinteressanten Profil: Die neu entdeckten Inhaltsstoffe Amorfrutine reduzieren am Tiermodell den Blutzucker durch Steigerung der Insulinsensitivität und wirken gegen Entzündungen.
Seit Jahrtausenden werden Inhaltsstoffe der Süssholz-Pflanze (Glycyrrhiza glabra) medizinisch angewendet, und zwar hauptsächlich als Tee bei Atemwegs- und Magenerkrankungen. Nun haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin in der Süßholzwurzel eine neue Wirkstoffklasse entdeckt: die Amorfrutine.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Amorfrutine gezielt an den PPAR-gamma-Rezeptor (Peroxisom-Proliferator-Aktivierter Rezeptor) andocken und Ihn aktivieren. Da PPAR-Rezeptoren viele Stoffwechselvorgänge beeinflussen, ist das medizinische Interesse an ihnen seit einigen Jahren sehr groß.
Der gamma-Untertyp spielt eine bedeutende Rolle im Glucose- und Fettstoffwechsel. Eine Aktivierung des PPAR-gamma steigert die Empfindlichkeit von Muskelzellen, Fettzellen und Leberzellen für Insulin. Glucose sowie freie Fettsäuren werden darum verstärkt von den Zellen aufgenommen und aus dem Blut abgezogen.
Auch bei der Differenzierung von Adipozyten (Zellen des Fettgewebes) scheint der PPAR-gamma eine Rolle zu spielen, und schließlich ist die Aktivierung des Rezeptors mit antientzündlichen Wirkungen verbunden.
Insulinsensitivität wird erhöht
Im Einklang mit diesen Erkenntnissen der Grundlagenforschung stehen die Resultate, die die Max-Planck-Wissenschaftler mit Amorfrutinen am Mausmodell für Adipositas und Tpy-2-Diabetes gewonnen haben: Mit den neu entdeckten Pflanzenstoffen ließ sich die Insulinsensitivität deutlich erhöhen. Der Blutzucker wurde reduziert und auch die Konzentration freier Fettsäuren im Blut verminderte sich. Die Amorfrutine konnten im Experiment sogar der Entwicklung einer Fettleber vorzubeugen. Außerdem war eine Verminderung verschiedener Entzündungsparameter festzustellen.
Dieses interessante Profil wird gemäss den experimentellen Daten durch eine sehr gute Verträglichkeit vervollständigt. Damit, so die Forscher, weisen Amorfrutine einen entscheidenden Vorteil gegenüber synthetischen Liganden des PPAR-gamma auf. Denn die vor einigen Jahren in die Diabetesbehandlung eingeführten Glitazone binden an diesen Rezeptor. Allerdings ist Rosiglitazon schon wieder aus dem Handel verschwunden und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte rät Medizinern, keine weiteren Patienten auf Pioglitazon einzustellen. Dass die natürlichen PPAR-gamma-Liganden offenbar frei sind von unerwünschten Wirkungen synthetischer Liganden, ist laut den Wissenschaftlern auf die größere Selektivität zurückzuführen, mit der Amorfrutine durch die Bindung an den Rezeptor relevante Gene anschalten.
Amorfrutine passen ins Konzept der Diabetestherapie
Das Profil der Amorfrutine ist darum so interessant, weil es metabolische und antientzündliche Effekte verbindet. Entzündliche Vorgänge spielen nach dem aktuellen Konzept in der Pathogenese des Typ-2-Diabetes eine wichtige Rolle und könnten ein bedeutendes Bindeglied zwischen Adipositas (Fettleibigkeit), Diabetes und Arteriosklerose sein.
Bei Adipositas können Fettzellen auf ein Mehrfaches ihrer gewöhnlichen Größe anwachsen, und diese hypertrophen Fettzellen schütten große Mengen von Entzündungsmediatoren aus. Dadurch werden Immunzellen wie Makrophagen angelockt, die in das Fettgewebe einwandern und die Lage weiter aufheizen, bis sich mit der Zeit eine chronische Entzündung (low grade inflammation) entwickelt. Man konnte zeigen, dass die Überschwemmung mit Entzündungsmediatoren an insulinabhängigen Geweben eine Insulinresistenz auslösend beziehungsweise fördern kann, die Ausgangspunkt ist für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes. Und auch bei der beschleunigten Arteriosklerose – als Folge von metabolischem Syndrom und Typ-2-Diabetes – sind entzündliche Vorgänge mit im Spiel.
Man müsste allerdings viel Süßholz einnehmen, um die Wirkungen der Amorfrutine in der Diabetesbehandlung nutzen zu können – die bisher angebotenen Zubereitungen hauptsächlich in Tees sind viel zu niedrig dosiert. Die Berliner Wissenschaftler haben bereits großindustriell anwendbare Extraktionsverfahren entwickelt, mit dem sich Amorfrutine anreichern lassen. Das medizinische Potenzial dieser interessanten Pflanzeninhaltsstoffe, die auch in den Früchten des in Amerika heimischen Strauches Amorpha fruticosa entdeckt wurden, sehen die Max-Planck-Forscher in einer sowohl therapeutischen als auch vorbeugenden Anwendung.
Quelle:
Weidner, C: Amorfrutines are potent antidiabetic dietary natural products, Proceedings of the National Academy of Sciences 2012, doi: 10.1073/pnas.1116971109
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=41709&type=0
Kommentar & Ergänzung:
Süssholz ist eine interessante Heilpflanze und dieses Beispiel mit den Amorfrutinen zeigt wieder einmal, dass die Pflanzenwelt eine ergiebige Quelle für Arzneistoffe ist.
Zum Hinweis darauf, dass mit Süssholztee die Amorfrutine nicht in genügender Dosierung zugeführt werden können, lässt sich noch sagen: Mit eingedicktem Süssholzsaft – also mit Lakritze – könnten wohl grössere Mengen zugeführt werden (sofern die Amorfrutine das Einkochen bei der Lakritzeherstellung überstehen).
Das Problem liegt aber an einem anderen Punkt: Süssholz / Lakritze in so hohen Dosen hätte wohl auch gravierende Nebenwirkungen. Bei längerfristiger Einnahme und hohen Dosen wäre zu rechnen mit: Mineralocorticoiden Wirkungen, Pseudohyperaldosteronismus mit Wasser- und Natriumretention, Oedemen, Kaliummangel und Bluthochdruck. Für diese Wirkungen sind die Inhaltsstoffe Glycyrrhizinsäure bzw. Glycyrrhetinsäure verantwortlich.
Darum ist es im Fall der Amorfrutine sicher sinnvoll, wenn die Wissenschaftler sich auf die Gewinnung und Anwendung der isolierten Stoffe konzentrieren und nicht – wie es in der Phytotherapie gebräuchlich ist – ein möglichst vollständiges „Wirkstoffteam“ aus der Pflanze extrahieren.
Zu ergänzen ist zudem, dass die vorliegenden Laborergebnisse und Resultate aus Tiermodellen noch weit entfernt sind von der Anwendung in der Diabetes-Behandlung beim kranken Menschen. Ob sich ein neuer Ansatz in der Therapie bewährt, zeigt sich erst in klinischen Studien mit Patientinnen und Patienten.
Zum Süssholz (Glycyrrhiza glabra) siehe auch:
Süssholz zur Arzneipflanze des Jahres 2012 gewählt
Fundstück: Rezept für hausgemachte Lakritze
Süssholzwurzeltee bei Magenbeschwerden
Zuviel Lakritze kann den Blutdruck steigern
In der Schwangerschaft Lakritze besser meiden
Lakritze schädlich in der Schwangerschaft
Lakritze vorbeugend gegen postoperative Rachenentzündung
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