Der renommierte Historiker und Autor Timothy Garton Ash hat dem Tages-Anzeiger ein Interview gegeben. Als grösste Herausforderungen nennt er Klimawandel, Populismus, China und die künstliche Intelligenz. Gefragt, ob Europa diese Herausforderungen bewältigen kann, sagt Timothy Garton Ash.
Zitat:
«Zuerst muss sich Europa bewusst werden, wie ernst die Lage ist. Bis 1991 hatten noch viele Europäer tragische Erfahrungen gemacht – sei es in einem Krieg, im Holocaust, im Gulag, unter faschistischen oder bis 1989 unter kommunistischen Diktaturen. Aus diesen persönlichen Erfahrungen entstand eine Triebkraft für die europäische Einigung. Jetzt haben wir eine Generation – ich nenne sie die Nach-89er –, die das Europa, das wir erreicht haben, für selbstverständlich hält. Da muss man sagen: Kinder, es wird ernst.»
Quelle:
https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/der-brexit-wird-schlimmer-fuer-europa-als-fuer-england/story/27673466
Kommentar & Ergänzung zum Zitat von Timothy Garton Ash:
Timothy Garton Ash spricht hier einen wichtigen Punkt an. Die Generationen, die in Mitteleuropa nach dem zweiten Weltkrieg herangewachsen sind, haben glücklicherweise weder eine tiefgreifende Krise noch Kriege persönlich erlebt. Da besteht die Gefahr, dass Errungenschaften wie Demokratie und Rechtsstaat als selbstverständlich empfunden werden.
In diese Richtung hat sich auch der chinesische Künstler und Dissident Ai Weiwei in einem Interview im Tages-Anzeiger geäussert.
Zitat:
«Alles ist so gut organisiert hier, so friedlich, so sicher, ein wundervolles Leben. Aber es ist so unverhältnismässig. Die Europäer haben keine Ahnung, wie hart der Kampf ums Überleben sein kann.»
https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/asien-und-ozeanien/meine-mutter-die-noch-in-china-lebt-verbietet-mir-heimzukehren/story/14282316
Nicht dass jemand sich Krieg oder Krisen wünschen sollte, nur um damit Erfahrungen zu sammeln. Aber es ist Zeit zu realisieren, dass wir uns um die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaat sorgen sollten. Packen wir diese Herausforderungen an. Zu diesem Thema hat die politische Denkerin Hannah Arendt wertvolle Anregungen zu geben. Sie kritisiert das Verschwinden der politischen Sphäre, das die Menschen als vereinzelte Individuen zurücklässt und das Aufkommen totalitärer Herrschaft ermöglicht. Dazu habe ich hier einen Text geschrieben:
Hannah Arendt: Standnehmen in der Welt statt Weltentfremdung
Timothy Garton Ash hat ein im Übrigen ein sehr ergiebiges Buch geschrieben über die Redefreiheit. Hier können Sie eine Buchbesprechung dazu lesen in meinem Buchshop:
„Redefreiheit – Prinzipien für eine vernetzte Welt,“ von Timothy Garton Ash
Übersicht meiner eigenen gesellschaftspolitischen Texte und Buchempfehlungen.