Die „Weltwoche“ ( Nr. 8 / 2011) brachte zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner einen Beitrag von Maurus Federspiel, der einige ausgesprochen merkwürdige Stellen enthält.
Besonders fragwürdig scheint mir der Abschnitt zur Anthroposophischen Medizin:
„Die einschlägigen Medikamente werden in zahllosen Apotheken Deutschlands und der Schweiz verkauft, ihre Wirksamkeit scheint durch die Verkaufsbilanzen bestätigt zu werden. Die Anfeindungen der anthroposophischen Medizin liegen vor allem in einer methodologischen Begrenztheit begründet, welche die materialistische geprägte Schulmedizin bestimmt. Der ständige Verweis auf den Placeboeffekt trägt allerdings kaum zur Klärung von Heilerfolgen gerade in der Tiermedizin bei. Mindestens ist auch einem anthroposophischen Arzt nicht zuzutrauen, dass er einen Ochsen oder eine Hauskatze durch blosse Suggestion zu heilen vermag……“
Schauen wir uns diese Aussagen Schritt für Schritt an:
„Die einschlägigen Medikamente werden in zahllosen Apotheken Deutschlands und der Schweiz verkauft, ihre Wirksamkeit scheint durch die Verkaufsbilanzen bestätigt zu werden.“
Sehen wir mal davon ab, dass hier betreffend „Verkaufsbilanzen“ einfach eine Behauptung aufgestellt wird.
Das Krankenversicherungsgesetz verlangt, dass ein Medikament wirksam sein muss, wenn es von der Grundversicherung bezahlt werden soll. Und das Bundesgericht verlangt, dass diese Wirksamkeit wissenschaftlich belegt sein muss. Offenbar hat jetzt aber Maurus Federspiel eine neue und einfachere Methode entdeckt, mit der Wirksamkeit festgestellt werden kann: Wirksam ist, was sich gut verkauft. Ich würde diese Methode der Wirksamkeitsprüfung noch etwas verfeinern und schlage vor, einfach die 1000 meistverkauften Medikamente über die Grundversicherung abzurechnen. Ein Blick in die Verkaufsbilanz genügt dann, um diese Liste zu erstellen. Spart viel Aufwand für sinnlose Studien etc.
Im Ernst: Schon mal was gehört davon, dass Verkaufserfolg auch etwas mit Marketing und Lobbying zu tun hat und dass sich etwas auch gut verkaufen kann, weil es diverse Bedürfnisse der Konsumenten erfüllt? Tolle Verkaufsbilanzen haben auch Mike Shiva oder Scientology. Ist Umsatz wirklich ein Qualitätszeichen?
Präparate der Anthroposophischen Medizin werden übrigens entgegen den gesetzlichen Vorschriften von der Grundversicherung vergütet, ohne dass ihre Wirksamkeit geprüft wird. Das Bundesamt für Gesundheit kann jedenfalls nicht annähernd plausibel erklären, wie eine solche Prüfung stattfindet.
„Die Anfeindungen der anthroposophischen Medizin liegen vor allem in einer methodologischen Begrenztheit begründet, welche die materialistische geprägte Schulmedizin bestimmt.“
Warum wird Kritik als „Anfeindungen“ dargestellt? Was soll diese Opferrolle?
Und die „Anfeindungen“ kommen nur durch die “methodologische Begrenztheit“ von Materialisten zustande, die in der Anthroposophischen Medizin ihren Feind sehen? – So einfach kann man es sich machen. Von derart methodologisch begrenzten Materialisten kann man ja nichts anderes als Anfeindungen erwarten. Auf solch feindlich gesinnte Anwürfe muss man natürlich nicht eingehen.
Wer die Behauptungen der Anthroposophischen Medizin nicht fraglos glaubt, sondern kritische Fragen stellt, macht also materialistisch motivierte „Anfeindungen“.
Das scheint mir eine sehr durchsichtige Immunisierungsstrategie. So wird eine Methode vorbeugend gegen Kritik und In-Frage-Stellung immunisiert.
Selbstverständlich ist zum Beispiel die Forschung nach Wirkstoffen in der Mistel insofern materialistisch, dass sie nach Wirkstoffen in Form von Molekülen sucht. Aber was soll zum Beispiel eine klinische Studie mit Krebspatienten, denen Mistelextrakt verabreicht wird, mit Materialismus zu tun haben? Hier wird ganz schlicht zu klären versucht, ob Krebspatienten mit Mistelextrakt länger leben als ohne. Und hier schneidet die Anthroposophische Medizin nicht gerade überzeugend ab. Also selbst bei ihrem mit Abstand am meisten untersuchten Paradepferd, der Misteltherapie.
Siehe dazu:
Misteltherapie gegen Krebs – wirksam?
Meine Kritik an der Anthroposophischen Medizin bezieht sich darauf dass sie Krankheit und Behinderung als Folge von moralischem Versagen in einem früheren Leben auffasst.
Ich halte es für einen grossen Fortschritt der Moderne, dass diese Verknüpfung von Krankheit und Behinderung mit moralischer Schuld überwunden ist. Die Remoralisierung von Krankheit und Behinderung – wie sie die Anthroposophische Medizin verkörpert – ist meiner Ansicht nach diffamierend für Betroffene und nicht wünschenswert.
Anthroposophische Medizin sieht Krankheit und Behinderung im Zusammenhang mit dem Wirken der anthroposophischen Widersachermächte Ahriman und Luzifer. Eine solche Geistermedizin scheint mir nicht erstrebenswert – vor allem nicht, wenn sie über die Grundversicherung abgerechnet wird.
Diese Einwände haben meines Erachtens nichts zu tun mit einem methodologisch begrenztem Materialismus, wie ihn Maurus Federspiel den Kritikern der Anthroposophischen Medizin pauschal unterstellt.
Details hier:
Kritische Anmerkungen zu Anthroposophischen Medizin
Kritische Fragen zur Förderung der Anthroposophischen Medizin
Anthroposophische Medizin ins Medizinstudium – offene Fragen
Anthroposophische Pflege – offene Fragen
„Der ständige Verweis auf den Placeboeffekt trägt allerdings kaum zur Klärung von Heilerfolgen gerade in der Tiermedizin bei. Mindestens ist auch einem anthroposophischen Arzt nicht zuzutrauen, dass er einen Ochsen oder eine Hauskatze durch blosse Suggestion zu heilen vermag……“
Ach, die alte Leiher. Hundert mal gehört in Diskussionen mit unkritischen und gutgläubigen Anhängern der Komplementärmedizin „Sogar bei Tieren wirkt es doch….dann kann es nicht nur Placebo sein!“
1. Placebo-Effekte bei Tieren sind schon seit einigen Jahrzehnten gut belegt. Man müsste das nur endlich zur Kenntnis nehmen und weniger dumme Argumente ins Feld führen.
Und wer beurteilt denn Heilerfolge bei Tieren? Die können ja nicht selber Auskunft geben.
Fünf Minuten Internetrecherche hätten genügt, um klar zu machen, dass Placebo—Effekte in der Tiermedizin ein bekanntes Phänomen sind.
Mehr Infos dazu hier:
Artikel „Tierhomöopathie: Alles für die Katz?“:
http://www.zeit.de/2010/50/Homoeopathie-fuer-Tiere?page=1
Artikel: „Tierischer Placeboeffekt“:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,743592,00.html
2. Schon mal was gehört davon, dass auch Tiere Selbstheilungskräfte haben oder bei chronischen Erkrankungen einen schwankenden Verlauf mit besseren und schlechteren Phasen?
Tiere werden wohl nie von selbst gesund?
Was legitimiert denn Autor Maurus Federspiel zu solch apodiktischen Urteilen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema kann es ja wohl nicht sein – die ist nämlich nicht ansatzweise erkennbar.
Grundsätzlich finde ich es sehr erstaunlich, wie rasch sich viele Menschen im Bereich von Medizin und Komplementärmedizin abschliessende Urteile zutrauen, ohne sich vorgängig mit den entsprechenden Fragen auch nur einigermassen vertraut zu machen. Wer ein Haus baut, wird ja wohl auch die Berechnungen von Statik-Fachleuten zu Rate ziehen und sich nicht nur auf die eigenen Ideen dazu stützen. Der Mensch mit seinen Gesundheiten und Krankheiten ist aber noch viel komplexer als ein Haus.
Ich selber jedenfalls befasse mich zwar intensiv mit Fragen rund um Medizin und Komplementärmedizin. Dabei muss ich aber in vielen Fällen auf Aussagen von Fachleuten zurückgreifen und mir bewusst bleiben, dass auch ein sorgfältiges Urteil nur vorläufigen Charakter hat.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
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Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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