Die österreichische „Presse“ bringt einen Beitrag zur Klärung der Verwirrung um ein angebliches Heilpflanzenverbot in der EU und zur Petition, die dagegen lanciert wird. Hier die wichtigsten Informationen aus diesem Betrag (Zitate kursiv):
Die EU wolle alternative Heilmittel verbieten, behaupten verschiedene Internetkettenbriefe. Tatsächlich wird deren Zulassung einfacher, jedoch teuer. Die langjährige Verwendung als Medizin muss allerdings belegt werden.
„Misteltee, Brennnesseltee, Mariendistel-forte-Dragees mit Artischocke: All das sind traditionelle pflanzliche Arzneimittel, die man in österreichischen Apotheken kaufen kann. Das war bisher so. Und das bleibt auch nach dem kommenden Sonntag so, wenn die siebenjährige Übergangsfrist zur Anwendung einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2004 abgelaufen ist.
Diese Vorschrift, in Österreich seit dem Jahr 2006 im Arzneimittelgesetz umgesetzt, sorgt derzeit in diversen alternativen Internetforen für Panik vor der ‚geldgierigen Pharmaindustrie’ und dem ‚Regulierungswahn’ der Kommission.“
Die „Presse“ bringt vor allem eine Stellungnahme von Reinhard Länger, einem der besten Kenner der Heilpflanzen und auch des Heilpflanzen-Marktes.
„Dabei sei besagte EU-Regel eigentlich gerade für die Hersteller pflanzlicher Arzneien ein großer Fortschritt, sagt Universitätsdozent Reinhard Länger vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen zur ‚Presse’: ‚Diese EU-Richtlinie öffnet ein neues Tor für traditionelle pflanzliche Arzneimittel.’ Denn wer seinen Blasentee künftig als Heilmittel verkaufen will, muss im Gegensatz zu den Pharmakonzernen keine klinischen Tests durchführen. Er muss nur nachweisen, dass das Mittel seit mindestens 30 Jahren medizinisch verwendet wird, die angepriesene heilende Wirkung plausibel ist und es zu keiner Gesundheitsgefährdung kommt.
Die langjährige Verwendung als Medizin lässt sich durch einen Blick in die ‚Rote Liste’ belegen, das seit dem Jahr 1933 geführte deutsche Arzneimittelverzeichnis. Die Plausibilität der heilenden Wirkung lässt sich durch einen Blick darauf belegen, ob das Mittel während der 30-Jahres-Zeitspanne stets im selben Anwendungsgebiet verwendet wurde, erklärte Länger. ‚Denn wenn es nicht irgendwie wirken würde, gäbe es das nicht mehr.’“
Die Medizingeschichte zeigt hier allerdings, dass auch völlig wirkungslose Heilmittel über Jahrhunderte im Gebrauch waren. Das zeigt zum Beispiel ein Besuch im Pharmazie-historischen Museum in Basel. Aus der Tatsache, dass ein Heilmittel schon lange im Gebrauch ist, kann man nicht schliessen, dass es auch wirksam ist. Viele Krankheiten bessern dauerhaft oder temporär auch von selbst. Wir nun ein Heilmittel angewendet, so wird die Besserung sehr häufig fraglos dem Medikament zugeschrieben.
Siehe dazu auch:
Komplementärmedizin: Wer heilt hat Recht?
„Etwaige gesundheitliche Nachteile der pflanzlichen Inhalte wiederum sollten jedem Botaniker bekannt sein.“
Na, das scheint mir etwas abwegig. Botaniker sind nicht unbedingt Spezialisten für allfällige gesundheitliche Nachteile von Pflanzen, vor allem nicht, wenn es sich um aussereuropäische Heilpflanzen handelt. Da sind Toxikologen in der Regel kompetenter. Es zeigt sich aber auch immer wieder, dass bei Pflanzen Giftwirkungen auftreten können, von denen auch Fachleute überrascht sind.
„Für außereuropäische Mittel (etwa Präparate der Traditionellen Chinesischen Medizin oder Ayurveda-Kuren) gilt, dass sie zumindest 15 Jahre lang in der EU gebräuchlich sein mussten. Wer all das erfüllt und schon bisher in Österreich als Lieferant zugelassen war, konnte bis 30. Oktober 2010 bei der Bundesagentur beantragen, seine Ware weiterhin als Arzneimittel verkaufen zu dürfen. Für 73 der bisher in Österreich 743 zugelassenen Mittel trifft das zu. Für 124 Produkte wurde kein Neuantrag gestellt. 546 weitere Produkte waren zwar zugelassen, sind aber mittlerweile nicht mehr auf dem Markt.“
Den nächsten Abschnitt betitelt die „Presse“ mit dem Satz:
Es geht ums Geld
„Die Crux dabei: Wer eine Neuzulassung begehrt, muss tief in die Tasche greifen. 2800 Euro fallen an Gebühr bei der Bundesagentur an, und mindestens 50.000 Euro kosten die Nachweise, dass das Pflanzenmaterial die Grenzwerte für Schwermetalle, Pestizide und Herbizide einhält, die Pillen haltbar sind und wirklich jede davon dieselbe Menge an Wirkstoff enthält.“
Für einen kleinen Hersteller mit kleinen Stückzahlen sind 50 000 Euro natürlich viel Geld. Andererseits muss aber auch festgehalten werden, dass viele Firmen mit Naturheilmittel auch viel Geld verdienen. Das ist nicht mehr nur einfach die engagiert-alternative Szene, die da am Werk ist. Dass Grenzwerte von Schwermetallen und Pestiziden überprüft werden müssen, ist meines Erachtens selbstverständlich. Gerade Naturheilmittel aus China oder Indien sind mit Schwermetallen und Pestiziden oft massiv belastet. Und dass die Prüfkosten einfach der Staatskasse übergeben werden, ist auch keine Lösung. Das würde bedeuten, dass die Gewinne den Herstellern zukommen, während die Allgemeinheit den Aufwand trägt.
Dazu kommt dann noch, dass sich die Hersteller traditioneller Heilmittel die Kosten für das Erbringen des Wirksamkeitsnachweises sparen können.
Dass man über die Angemessenheit dieser 50 000 Euro aber unterschiedlicher Meinung sein kann, scheint mir klar. Darüber soll und darf diskutiert und gestritten werden.
Positiv ist an diesem Punkt, dass deutlich wird:
Es geht nicht um ein „Heilpflanzenverbot“, wie diese unsägliche Petition irreführenderweise suggeriert, sondern um die Kosten der Zulassungsverfahren.
Zum Schluss geht der „Presse“-Artikel auf den Unterschied zwischen Arzneimittel und Nahrungsergänzung ein:
„Bloß: Wer die neue Zulassung nicht bezahlen will, darf lediglich sein Mittel nicht mehr als ‚Arznei’ verkaufen. Wer sparen will, verkauft seine Ware als Nahrungsergänzungsmittel. Dafür gelten die lockereren Regeln des Lebensmittelrechts. Genau das tun viele Hersteller, sagte Länger: ‚Die Tendenz geht sicher in diese Richtung.’“
Nahrungsergänzungsmittel dürfen keine Heilwirkung für sich beanspruchen, zum Beispiel in der Werbung, und sie müssen daher selbstverständlich auch keine Wirkung belegen.
Quelle:
http://diepresse.com/home/gesundheit/653643/Aufregung-um-HeilkraeuterRegistrierung?_vl_backlink=/home/gesundheit/index.do
Weitere Informationen:
Eigene Beiträge:
– Unsinnige Petition gegen angebliches Heilpflanzenverbot der EU
– Naturheilkunde: Irreführende Petition gegen angebliches Heilpflanzenverbot in der EU
– Zur Petition gegen angebliches Heilpflanzenverbot in der EU 2011 – mehr Fakten, weniger Demagogie
– Angebliches Heilpflanzenverbot der EU: Immer noch viel Aufregung ohne konkreten Anlass
http://hoax-info.tubit.tu-berlin.de/hoax/thmpd.shtml
Stellungnahme des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker e. V.
Stellungnahme Landesapothekerkammer Baden-Württemberg
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Heilkräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch