Der „Volksfreund“ berichtete über einen Vortrag des Bonner Theologen und Botanikers Dr. Hermann Josef Roth mit dem Thema „Klostermedizin von Hildegard bis heute: Rheinischer Beitrag – Kritische Würdigung“. Die Pflege der Kranken habe im Mittelalter zu den wichtigen Tätigkeiten im Kloster gehört. Schon die Ordensregel des heiligen Benedikt von Nursia, des Vaters des europäischen Mönchtums, habe einen Abt oder eine Äbtissin zum Dienst an den Kranken und Schwachen verpflichtet. Daher seien die Klöster nicht nur wichtige Orte der Kulturtradition, der Forschung und Lehre, sondern auch der Ursprung einer „ganzheitlichen Medizin“ gewesen.
Diesen Behandlungsansatz setzten die Nonnen und Mönche mit eigenen Krankenhäusern und der Herstellung von Arzneien aus Heilpflanzen um. Die heilige Hildegard von Bingen kannte, schätzte und förderte gemäss Hermann Josef Roth umsichtig diese „echte Klostermedizin“ in Eibingen und auf dem Rupertsberg. Hildegard habe ein Herz für Kranke und Schwache gehabt, weil sie selbst auf ärztliche Hilfe angewiesen war. Medizinische Schriften wie die „Physica“ habe sie wohl kaum selbst verfasst; sie seien ihr zugeschrieben worden, sagte Roth.
Die sogenannte „Hildegard-Medizin“, die heute sehr populär ist und zahlreiche „Hildegard-Produkte“ vermarktet, ist laut Roth eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und steht in keiner Verbindung zur historischen Hildegard.
Quelle:
http://www.volksfreund.de/nachrichten/region/trier/Kurz-Die-Klostermedizin-im-Wandel-der-Zeit;art777,3672661
Kommentar & Ergänzung:
Das scheint auf den ersten Blick vielleicht ein gar hartes Urteil über die „Hildegard-Medizin“ zu sein. Hermann Josef Roth weiss aber, wovon er spricht, wenn es um die Klostermedizin geht. Er ist nicht nur Theologe und Botaniker, sondern darüber hinaus auch Zisterzienserpater und Ordenshistoriker. Zudem gehört er zum erweiterten Kreis der Forschergruppe Klostermedizin an der Universität Würzburg.
Klar ist: Diese Kritik richtet sich nicht gegen Hildegard von Bingen, die eine faszinierende Persönlichkeit war und ein eindrückliches Werk hinterlassen hat.
Fragwürdig ist einfach, wenn aus der Geschichte der Heilkunde einfach das herausgepickt wird, was einem gerade in den Kram passt. Tradition darf nicht einfach als Steinbruch missbraucht werden, um gegenwärtige Phantasien und Bedürfnisse zu befriedigen.
Die Tradition ist ganz besonders auch für die Pflanzenheilkunde eine wichtige Quelle. Aber es braucht eine kritische Auseinandersetzung mit der Tradition.
Siehe dazu:
Komplementärmedizin – hat Tradition Recht?
Wer sich mit der traditionellen Pflanzenheilkunde befasst, sollte meines Erachtens auch danach streben, den jeweiligen geschichtlichen Kontext zu verstehen. Man kann nicht einfach ein Zitat von Hildegard von Bingen quasi wie mit dem Wordprogramm im Mittelalter „ausschneiden“, und dann im Jahr 2013 isoliert und kontexlos „einfügen“. Für das Verständnis eines Zitates ist ein Verständnis des Welt- und Menschenbildes nötig, auf dem die Klostermedizin basiert.
Die Forschergruppe Klostermedizin an der Universität Würzburg befasst sich vorbildlich mit diesen medizingeschichtlichen Fragen.
Siehe: http://www.klostermedizin.de
Die „Hildegard-Medizin“ dagegen benutzt (oder vielleicht gar: missbraucht) Hildegard um ein eigenes Konstrukt zu bauen. Dieses Konstrukt hat mehr mit den Erbauerinnen und Erbauern des Konstrukts zu tun als mit Hildegard. Die Kritik von Hermann Josef Roth ist deshalb sehr nachvollziehbar.
Zur Hildegard-Medizin siehe auch:
Die Vermarktung der Hildegard von Bingen
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Heilpflanzenexkursionen in den Bergen / Kräuterkurse
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Psychiatrische Klinik, Palliative Care, Spital:
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch