Der Schriftsteller Lukas Rietzschel aus Görlitz äussert im „Magazin“ (Nr. 32, 10. August 2019) sich zur ungesunden Polarisierung in der Politik. Das Interview handelt hauptsächlich von der Lage in Deutschland und insbesondere in Ostdeutschland, doch betrifft das Thema genauso die Schweiz und Österreich.
Zitat:
„Das halte ich für das eigentlich beunruhigende an dieser Polarisierung: die Flucht weg vom Konsens, weg von Kompromissen, weg von der eigentlichen Anstrengung der Politik. Das verändert auch unser Verständnis von Demokratie.“
Kommentar & Ergänzung:
Der Polarisierung in der Politik können Wählerinnen und Wähler entgegenwirken. In der Schweiz das nächste Mal bei den Wahlen 2019.
Wer üblicherweise nicht zur Wahl geht, könnte das diesmal ja ändern. Und auch wer regelmässig zur Wahl geht, kann sich Gedanken machen, wie der Polarisierung am besten Einhalt geboten wird.
Das sind meines Erachtens die wichtigsten Punkte:
☛ Politiker und Politikerinnen sollen klare Positionen vertreten. Demokratisch gesinnte Politiker brauchen aber auch die Bereitschaft und Fähigkeit zum Kompromiss. Wer diese Bereitschaft und Fähigkeit nicht hat, verdient unsere Stimme nicht.
☛ Demokratisch gesinnte Politikerinnen und Politiker betrachten ihre Gegner als legitime Kontrahenten mit grundsätzlich legitimen Auffassungsunterschieden. Auf der Basis dieser wenig polarisierenden Haltung fühlen sich politische Gegner durch ein gemeinsames Band verbunden, wie insbesondere durch das Bekenntnis zum demokratischen Rahmen ihres Konfliktes.
Sehen dagegen Politiker oder Politikerinen den politischen Kontrahenten als Feind, verbinden sie kein gemeinsames Band an (demokratischen) Wettstreitregeln mit den anderen Beteiligten. Dadurch werden Konflikte aufgeheizt und stark polarisiert. Im äussersten Fall können sie auf einer existenziellen Ebene zu einem Entweder-oder, d. h. der ultimativen Vernichtung des Kontrahenten, führen.
Deshalb ist es wichtig, auf keinen Fall Politiker oder Politiker zu wählen, die ihre Gegner als Feinde behandelt oder betrachten.
Zum Unterschied zwischen Gegnerschaft und Feindschaft siehe auch hier.
☛ Keine Politikerinnen und Politiker wählen, die auf Provokation und Diffamierung des politischen Gegners setzen. Provokation als Strategie ist sehr erfolgreich, weil es in klassischen Medien und sogenannten sozialen Medien sehr viel Aufmerksamkeit bringt. Eindrücklich beschrieben hat dieses Phänomen Matthias Zehnder in seinem Buch „Die Aufmerksamkeitsfalle“ (Zusammenfassung von mir hier). Provokateure und Diffamierer fördern die Polarisierung in starkem Mass. Sie schaden der demokratischen Kultur, sollten keine Stimme bekommen und politisch isoliert werden. Vor allem Wählerinnen und Wähler der SVP könnten hier einen Betrag zur demokratischen Kultur leisten, indem sie solche Personen von den Wahllisten streichen und konstruktive Vertreter vorziehen. Die SVP leistet sich seit Jahren Provokateure und Diffamierer in Spitzenpositionen, die kaum konstruktive Politik liefern und keine tragfähigen demokratischen Lösungen anstreben. Aber nicht ausschliesslich in der SVP, auch in anderen Parteien gibt es einzelne Exponenten, die aus diesen Gründen nicht unterstützenswürdig sind.
Wir haben es als Wählerinnen und Wähler in der Hand.
Aber auch die Parteien stehen in der Verantwortung. Sie müssen konsensfähige und konstruktive Politikerinnen und Politikern fördern.
Die Medien wiederum sollten Provokateuren und Diffamierern keine übermässige Präsenz ermöglichen, auch wenn solche Figuren mit ihren schillernden Auftritten ihnen viele Klicks und Zuschauer bringen.
Übersicht meiner eigenen gesellschaftspolitischen Texte und Buchempfehlungen.