„Doch sich täuschen zu lassen, gilt nach landläufiger Auffassung als elend.
Ich behaupte dagegen, daß es das größte Unglück ist,
über alle Täuschungen erhaben zu sein.
Der Geist des Menschen ist nun einmal so angelegt, daß der Schein
ihn mehr fesselt als die Wahrheit.“
Erasmus von Rotterdam
Quelle:
http://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/fachbereich_physik/didaktik_physik/publikationen/267_zaubern_entzaubern_wieder_verzaubern.pdf
Kommentar & Ergänzung:
Meiner Ansicht nach ist es nicht „das grösste Unglück“, über alle Täuschungen erhaben zu sein – weil das gar nicht erreichbar ist.
Zu glauben, man sei über alle Täuschungen erhaben, scheint mir dagegen sehr problematisch. Diese Überzeugung macht uns unkritisch gegenüber den eigenen Interpretationen.
Im Bereich der Heilkunde braucht es beispielsweise ein Bewusstsein um die Irrtumsanfälligkeit bei der Interpretation eigener Erfahrungen.
Siehe dazu:
Naturheilkunde: Vom sorgfältigen Umgang mit Erfahrung
Naturheilkunde braucht sorgfältigeren Umgang mit Erfahrung
Spannend finde ich die Aussage des Erasmus, dass der Geist des Menschen so angelegt sei, dass der Schein ihn mehr fesselt als die Wahrheit. Das ist stark der Fall, wenn der Schein sehr unseren Bedürfnissen entgegenkommt – beispielsweise dem Bedürfnis nach Heilung.
An diesem Punkt sind Menschen anfällig für grandiose Heilungsversprechungen.
Darum ist es empfehlenswert, immer dann genauer kritisch nachzufragen, wenn medizinische, komplementärmedizinische , alternativmedizinische (oder was auch immer…) Angebote sehr unseren Bedürfnissen zu entsprechen scheinen.
Siehe:
Komplementärmedizin: Woran erkennen Sie fragwürdige Aussagen?
Komplementärmedizin: Qualität und Quacksalberei
P. S. zu Erasmus von Rotterdam:
Erasmus von Rottterdam war ein bedeutender niederländischer Gelehrter des europäischen Humanismus. Er war Theologe, Philosoph, Philologe und Autor zahlreicher Bücher. Er starb 1536 in Basel und ist im Basler Münster begraben.
Eindrücklich an Erasmus von Rotterdam finde ich, dass er sich angesichts der Reformationskonflikte nicht einfach in ein Lager pressen liess.
Als katholischer Theologe hat er die katholische Kirche rigoros kritisiert – den Ablasshandel, die Prunksucht der Kirchenoberen, die Kriegswut des Papstes. Gleichzeitig hat sich Erasmus deutlich von den deutschen Reformatoren und vor allem von ihrem fanatischen Anführer aus Wittenberg – Martin Luther – distanziert. Er forderte unbedingte Dialogbereitschaft. Über alles muss geredet werden können, weil niemand absolute Gewissheit haben kann, dass er Recht hat. Wer die Durchsetzung der eigenen Glaubenssätze für wichtiger hält als eine friedliche Gemeinschaft, muss einsehen, dass nichts im Leben „wertvoller ist als das Leben selbst“.
Erasmus kannte nicht nur beissende Kritik, die auf Veränderung gesellschaftlicher oder kirchlicher Verhältnisse abzielt. Die Schwächen der Menschen entlockten ihm oftmals auch einfach ein versöhnliches Schmunzeln. Es ist immer dann angebracht, wenn durch das törichte Verhalten niemand zu Schaden kommt, ja, wenn es die Menschen subjektiv sogar glücklicher macht. Alles, was der Freundschaft und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen zuträglich ist, verdient nach Erasmus unsere Anerkennung – oder zumindest unsere Nachsicht.
(Quelle: Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen, Ausstellungstext „Lob der Torheit“, Ausstellung über Erasmus von Rotterdam, 2009)
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
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