Das schreibt die Boulevardzeitung „Krone“ und rät ihren Leserinnen und Lesern:
„Von wegen Unkraut! Um überschüssigen Kilos den Kampf anzusagen, empfiehlt sich nämlich Brennnessel-Tee. Er enthält Mineralsalze, Kiesel- und Essigsäure sowie Vitamin E und treibt Giftstoffe aus dem Körper. Einen gehäuften Teelöffel Brennnesselblätter (gibt’s in der Apotheke) mit kochendem Wasser übergießen und fünf Minuten ziehen lassen. Drei Mal täglich eine Tasse trinken und schon werden die Kilos purzeln.“
Quelle:
http://www.krone.at/Gesund-Fit/Beauty-Elixier_Tee_So_schoen_machen_Rooibos_und_Co.-Rundum_gepflegt-Story-308056
Kommentar & Ergänzung:
Eine glatte Lüge, dieser Ratschlag mit den purzelnden Kilos. Und Brennnesseltee enthält tatsächlich Essigsäure?
Beeindruckend. Kann ich damit vielleicht auch gleich die Blutgefässe entkalken? 100%ig korrekt ist hingegen, dass Brennnessel Vitamin E enthält – in den Brennnesselsamen. Aber wo kommen wir denn hin, wenn wir solche Unterscheidungen machen. Die Welt ist ja sonst schon komplex genug. Und welche Giftstoffe soll die Brennnessel denn genau aus dem Körper treiben? Und was mach ich dann mit den ausgeschiedenen Giftstoffen? Doch nicht etwa ins Klo?
Gar auf die Sondermülldeponie? – Schliesslich kommen da ja mehrere Kilos Giftstoffe zusammen, wenn die Kilos wirklich purzeln sollen.
Im Ernst: Brennnesseltee hat eine leicht harntreibende Wirkung. Genauer gesagt, wird dank Brennnesseltee mehr Wasser ausgeschieden. Und daraus folgt: Je mehr Brennnnesseltee man trinkt, desto mehr Wasser geht weg.
Erleichtert wird man dadurch kein Gramm.
Der Ratschlag der Kronenzeitung ist eine einzige Verarschung.
Um Missverständnissen vorzubeugen, sei aber noch erwähnt, dass ich gar nichts gegen Brennnesseltee habe und auch keinesfalls ein Brennnessel-Feind bin. Bewahre!
Nur solche völlig hohlen Versprechungen, die finde ich gar nicht nett.
Vertiefende Informationen zur Entschlackologie:
Mit Heilfasten und Entschlackungskuren ins Neue Jahr 2012
Darmreinigung: Mehr Schaden als Nutzen durch Entgiftungskur
Unsinnig und Irreführend: Sidroga® Wellness Entschlackungstee
Entschlackung – unnötig und ungesund
Entgiften und Entschlacken – Höchst fragwürdige Versprechungen
Entschlackung – illusionäre Hoffnung auf Gewichtsreduktion
Die Kronen-Zeitung hat übrigens ihren Leserinnen und Lesern schon einmal wirre Brennnessel-Entschlackungsfantasien vorgesetzt:
Frühjahrskur mit Brennnessel – Fragwürdige Tipps der Kronen-Zeitung
Der „Kurier“ ist aber auch nicht besser:
Begriffssalat um Schulmedizin Komplementärmedizin – Alternativmedizin
Reiner Zufall, dass es sich da um zwei Zeitungen aus unserem östlichen Nachbarland Österreich handelt. Ich schwörs! Ich habe auch gar nichts gegen Österreich…..
Und nun zur „Ehrenrettung“ der Brennnessel:
1.) Hinweise aus der Phytotherapie-Forschung deuten auf günstige Effekte von Brennnesselmus bei Rheuma hin aufgrund einer entzündungshemmenden Wirkung:
2.) Die von der Kronen–Zeitung empfohlene Brennnessel-Anwendung ist nach gegenwärtigem Wissensstand harmlos und ohne Nebenwirkungen.
3.) Ich finde, wir sollten im Umgang mit der Natur und den Pflanzen nicht immer nur unseren eigenen Nutzen im Kopf haben.
Am wichtigsten sind Brennnesseln nämlich für Schmetterlinge:
„Für die Raupen von rund 50 Schmetterlingsarten sind bestimmte Brennnessel-Arten eine Futterpflanze.
Die Schmetterlingsarten Admiral, Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs (auch als Nesselfalter bekannt), Silbergraue Nessel-Höckereule, Dunkelgraue Nessel-Höckereule, Brennnessel-Zünslereule (Hypena obesalis) und das Landkärtchen sind dafür sogar auf die Brennnessel angewiesen, andere Pflanzen kommen für diese Arten nicht in Betracht (Monophagie). Trotzdem scheinen sich diese Schmetterlingsarten kaum gegenseitig Konkurrenz zu machen, denn sie bevorzugen jeweils andere Wuchssorten der Brennnessel oder sind relativ selten.“
Quelle: Wikipedia
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Pflanzenheilkunde
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
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