Rechtzeitig zur Nach-Feiertagszeit bringt der österreichische „Standard“ ein Interview mit dem Ernährungsmediziner Kurt Moosburger zum Thema Heilfasten und Entschlacken.
Zitat:
„STANDARD: Heilfasten und Entschlackungskuren stehen schon seit Jahren hoch im Kurs. Sie sollen den Körper entgiften. Aber welchen gesundheitlichen Nutzen haben solche Kuren tatsächlich?
Moosburger: Gar keinen. Sie haben sogar eher gesundheitliche Nachteile. Fasten ist Raubbau am eigenen Körper. Sie induzieren damit einen Hungerstoffwechsel, bei dem nicht nur Fett, sondern auch Muskelprotein abgebaut wird. Dieser Muskelmasse-Abbau ist vor allem in der ersten Woche des Fastens enorm. Man frisst sich also quasi selbst auf. Das ist völlig grotesk. Und was die Schlackenstoffe betrifft: Solche gibt es in Hochöfen, aber nicht im menschlichen Körper. Wenn die Nieren des Menschen und seine Leber in Ordnung sind, werden wir täglich von selbst entgiftet. Darüber braucht man sich keine Gedanken zu machen.“
Quelle:
http://derstandard.at/1324501618894/Nahrungsverzicht-Fasten-Raubbau-am-eigenen-Koerper
Kommentar & Ergänzung:
Unumstritten scheint mir, dass Fasten bei manchen Menschen das Wohlbefinden verbessern kann. Dafür verantwortlich ist aber wohl nicht die Ausscheidung ominöser „Schlacken“, sondern die Ausschüttung von „Glückshormonen“:
„Fasten tut wohl, meinen viele, die es praktizieren, und berichten von Entspannung und Euphorie. Physiologisch lässt sich das leicht erklären. Der Körper schaltet beim Hungern auf Notfallprogramm um. Er schüttet verstärkt Endorphine, Glückshormone, aus. Christliche Asketen und andere tiefreligiöse Menschen konnten sich so vermutlich gar in ekstatische Zustände versetzen – Erscheinungen inklusive. Dem modernen Fasten-Fan dagegen geht es meist um „Wellness“ irdischer Prägung. Leib und Seele sollen gestärkt und gereinigt werden. Und das lässt man sich mitunter auch gerne etwas kosten.“
Quelle: http://derstandard.at/1324501596187/Fastenkuren-Jetzt-mal-wieder-halblang
Gesunden Menschen, die solche Erfahrungen machen wollen, würde ich nicht davon abraten.
Allerdings sehe ich auch kaum Argumente dafür, dass solche Fastenkuren für die Gesundheit gut oder gar wichtig wären.
Von Heilfasten zu reden, ist jedenfalls sehr gewagt.
Und wer mit Fasten eine nachhaltige Gewichtsabnahme anstrebt, ist sowieso auf dem Holzweg.
Heikel können sich Fastenkuren auswirken bei älteren Personen, die sich auch sonst mangelhaft ernähren, und bei Menschen mit chronischen Krankheiten. In solchen Situationen würde ich empfehlen, eine geplante Fastenkur mit dem Hausarzt oder der Hausärztin vorgängig zu besprechen.
Problematisch an diesem ganzen Entschlackungskult scheint mir, dass uns damit mehr oder weniger subtil vermittelt wird, unser Körper sei „vermüllt“ und dadurch behandlungsbedürftig. Das unterminiert das Vertrauen in die „Entsorgungs-Kompetenz“ unseres Körpers. Ist dieses Vertrauen weg, übernimmt eine ganze Armada von Fastengurus mit einem Arsenal von Entschlackungsmitteln sehr gerne und immer wiederkehrend diese „Müllabfuhr“. Das ist meines Erachtens eine komplementärmedizinische Variante der Medikalisierung. Menschen werden per Theorie für behandlungsbedürftig erklärt und dann mit entsprechenden Therapien versorgt.
Dass der Begriff „Schlacken“ ausgesprochen fragwürdig ist, habe ich an anderer Stelle schon thematisiert:
Darmreinigung: Mehr Schaden als Nutzen durch Entgiftungkur
Darmreinigung ist überflüssig bis gefährlich
Schlechte Schlankheitsmethoden: Heilfasten
Schlackenstoffe – ein Phantom macht Karriere
Entgiften und Entschlacken – höchst fragwürdige Versprechungen
Entschlackung – illusionäre Hoffnung auf Gewichtsabnahme
Wenn Ihnen jemand mit dem Begriff „Schlacken“ daher kommt und eine „Entschlackungskur“ anpreist, dann fragen Sie doch genau nach, um welche Stoffe es sich bei diesen „Schlacken“ handelt, wo sie im Körper abgelagert sind und wie genau sie durch das Entschlackungsmittel ausgeschieden werden sollen.
Aber lassen sie sich bei der Erklärung nicht abspeisen mit Begriffen, die genauso nebulös sind wie die zu erklärenden „Schlacken“. Meistens dreht sich die Erklärung nämlich im Nebel.
Die beiden Artikel im „Standard“ sind übrigens lohnenswert – auch die Diskussion in der Kommentarspalte. Immer wieder erstaunlich ist, welch heftige Reaktionen kritische Fragen zu den Themen Heilfasten und Entschlacken auslösen. Verteidiger dieser Verfahren gehen kaum je auf Argumente ein. Vielmehr werden Kritiker als Knechte der „Schulmedizin“ oder der „Pharmaindustrie“ in die Ecke gestellt. Mit dieser Art der Reaktion macht man es sich aber sehr einfach. Ähnliche Reaktionen sieht man oft bei Leuten, die ihre religiösen Überzeugungen in Frage gestellt sehen. Das ist nicht ganz erstaunlich. Viele Ernährungslehren scheinen zunehmend den Status von Ersatzreligionen zu erlangen.
Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde
Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz
Phytotherapie-Ausbildung für Krankenpflege und andere Gesundheitsberufe
Weiterbildung für Spitex, Pflegeheim, Klinik, Palliative Care
Heilpflanzen-Seminar für an Naturheilkunde Interessierte ohne medizinische Vorkenntnisse
Kräuterexkursionen in den Bergen / Pflanzenheilkunde
Interessengemeinschaft Phytotherapie und Pflege: www.ig-pp.ch
Schmerzen? Chronische Erkrankungen? www.patientenseminare.ch