Etwa jeder dritte Erwachsene kennt nächtliche Wadenkrämpfe aus eigener Erfahrung, bei Betagten ist es sogar jeder zweite. Wadenkrämpfe treten scheinbar ohne erkennbare Ursache auf, manchmal aber auch nach ungewohnter Muskelarbeit oder nach Elektrolyt- und Wasserverlust (Dehydration).

Wer unter Wadenkrämpfen leidet, wird eher früher als später den Tipp bekommen, es doch mit Magnesium zu versuchen. In korrekter Dosierung sind Magnesiumsalze in der Regel gut verträglich – sie können allenfalls den Stuhl weich machen und in höherer Dosierung zu Durchfall führen.

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob Magnesiumsalze auch wirksam sind gegen Wadenkrämpfe.

Wadenkrämpfe sind kurz andauernde unwillkürliche Muskelkontraktionen, die häufig nachts und häufig bei älteren Menschen auftreten, unangenehm und schmerzhaft sind und den Schlaf stören. Die Ursache nächtlicher Wadenkrämpfe ist oft unklar, die Beschwerden sind aber gutartig.

Tritt das Problem häufiger auf, ist eine ärztliche Untersuchung sinnvoll, weil es verschiedene Ursachen gibt, die das Auftreten von Wadenkrämpfen begünstigen können. Beispielsweise (Quelle: Pharmawiki):

Chronisch-venöse Insuffizienz, bei Frauen in der Schwangerschaft (häufig!), Urämie, Diabetes mellitus, Vergiftungen, Schilddrüsenerkrankungen, Dialyse, Elektrolytstörungen (Hypomagnesiämie, Hypocalciämie, Hyponatriämie, Hypokaliämie), Gefässerkrankungen, neuromuskuläre Erkrankungen, Medikamente (z. B. Diuretika, Nifedipin, Morphin, H2-Antihistaminika, SERM, Statine, Lithium, Beta2-Sympathomimetika).

Die ärztliche Untersuchung soll also feststellen, ob eine Krankheit, Mangelzustände oder Medikamente die Wadenkrämpfe verursachen. Zudem sollen Krankheiten ausgeschlossen werden, die ähnliche Symptome hervorrufen (Z. B. Restless-Legs-Syndrom, Neuropathien).

Aber wie schon erwähnt: In den meisten Fällen ist keine klare Ursache festzustellen. Dann stellt sich die Frage, ob ein Versuch mit Magnesiumsalzen sinnvoll ist.

Dazu gibt es ein paar kleinere Studien, doch nur bei schwangeren Frauen zeigen Magnesiumverbindungen in einem Teil der Studien bessere Wirkung als Placebo. Ausserhalb von Schwangerschaft ist eine Überlegenheit gegenüber Placebo nicht belegt.

Angesichts der sehr verbreiteten Empfehlung magnesiumhaltiger Präparate bei Wadenkrämpfen ist die Studienlage also ziemlich desolat.

Fragwürdig ist auch die oft anzutreffende Empfehlung von Schüssler Salzen wie Magnesium phosphoricum D6 (Schüsslersalz Nr. 7)  bei Wadenkrämpfen. Da steht zwar Magnesium phosphoricum drauf, doch weil das Magnesiumsalz 1 : 1 Mio mal verdünnt ist enthalten die Präparate kein Magnesium als Wirkstoff. Nach den Berechnungen einer Schüssler-Salz-Herstellerin braucht es 193 kg Schüsslersalz Nr. 7 Magnesium phosphoricum, um gleich viel Magnesiumionen aufzunehmen wie in einem Liter Mineralwasser enthalten sind (siehe dazu hier).

Allerdings erklären sich die Schüsslersalz-AnhängerInnen die Wirkung des nichtvorhandenen Magnesiumphosphats anders:

„Die Schüßler-Salze verhelfen – vereinfacht ausgedrückt – im Sinne einer Information die für den Menschen wichtigen Mineralstoffe dorthin zu leiten, wo sie benötigt werden. Das Schüßler-Salz Magnesium phosphoricum hilft also, das über die Nahrung aufgenommene Magnesium besser zu verwerten. Magnesium phosphoricum D6 ist das Schüßler- Salz gegen Krämpfe aller Art, vor allem aber auch gegen Wadenkrämpfe.“

Quelle des Zitats: http://burgenland.orf.at/radio/stories/2542446/

 

Das ist eine schöne, aber völlig faktenfreie Behauptung. Es gibt keinerlei konkrete Hinweise dafür, dass Schüsslersalze die Mineralstoffe dorthin leiten, wo sie gebraucht werden. Es handelt sich hier um eine dogmatische Setzung, die in der „Szene“ nicht in Frage gestellt wird, und die man glauben kann oder nicht. Zur Wirksamkeit von Schüsslersalzen gibt es keine Studien. Da diese Präparate vom Wirksamkeitsnachweis befreit sind, brauchen die Hersteller nicht in Forschung zu investieren.

Und warum berichten AnwenderInnen von „konventionellen“ und „schüsslerischen“ Magnesiumpräparaten dann von Besserungen?

Dafür dürften eine ganze Reihe von Faktoren verantwortlich sein: Placeboeffekt, anderweite Einflüsse (Lebensweise? Ernährung?) natürliche Schwankungen in der Intensität der Beschwerden.

Die Schlussfolgerung, dass eine spezifische Wirksamkeit der Präparate für die Besserung verantwortlich ist, dürfte wohl auf einem Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschluss beruhen.

Ausserdem:

Naturheilkunde braucht kritische Auseinandersetzung

Dazu kommt noch eine selektive Berichterstattung, wie sie schon Georg Christoph Lichtenberg (1792 -1799) beschrieben hat:

„Wenn man einmal Nachrichten von Patienten gäbe, denen gewisse Bäder und Gesundheitbrunnen nicht geholfen haben, und zwar, mit eben der Sorgfalt, womit man das Gegenteil tut, es würde niemand mehr hingehen, wenigstens kein Kranker.“

(aus: Aphorismen, Sudelbücher Heft K, 262)

Zudem haben solche Präparate den Vorteil, dass sie uns aus der Ohnmacht herausholen: Man kann etwas tun. Allein das schon bewirkt eine veränderte Wahrnehmung der Beschwerden und verschafft oft Erleichterung. Und das ist nicht nichts.

Was darüber hinaus bei Wadenkrämpfen noch bleibt sind unspektakuläre Tipps zur nicht-medikamentösen Behandlung:

„Im akuten Anfall kann der Fuss rückwärts in Richtung Schienbein gebeugt werden. Auch Kühlen oder Wärmen, Massieren und Umhergehen hilft. Ob Stretching eine zuverlässig vorbeugende Wirkung hat, ist umstritten. Es kann im akuten Anfall die Beschwerden lindern. Es wurde empfohlen, so zu schlafen, dass der Fuss wie beim Stehen im rechten Winkel zum Bein steht, zum Beispiel durch Anlehnen an den Bettrahmen.“

Quelle des Zitats: http://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Naechtliche_Wadenkraempfe

Martin Koradi, Dozent für Phytotherapie / Pflanzenheilkunde

Winterthur / Kanton Zürich / Schweiz

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